Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
schon gekannt, bevor Audrey sie zusammenbrachte?«, fragte Alice mit Unschuldsmiene. Insgeheim schnürte ihr die Aufregung fast die Luft ab.
Hilary unterdrückte ein amüsiertes Schnauben.
»Nein, das nicht, aber ich war immer der Meinung, dass mit Audreys Cousin irgendwas nicht stimmt.«
»Audreys Cousin?«, wiederholte Alice entsetzt, und in ihrem Kopf fing alles an, sich zu drehen.
»Ja, eigentlich war er ein Großcousin zweiten Grades oder irgend so was. Jedenfalls wirkte er nie besonders verliebt in seine Frau. Ich glaube, ich habe nie gesehen, dass er mehr als zwei Worte mit ihr gewechselt hätte. Ein komischer Kauz; anscheinend machte er gerade schwere Zeiten durch. Ich glaube, er hatte keinen Penny mehr in der Tasche. Das war so ein Typ, den wollte man am liebsten mit nach Hause nehmen und ihm erst mal was Ordentliches zu essen vorsetzen. Den Anzug für die Pressefotos hat Audrey ihm gekauft, soweit ich weiß. Inzwischen frage ich mich, ob sie ihn vielleicht für die Heirat bezahlt hat; du weißt schon – um ihre Statistik zu frisieren und in die Zeitung zu kommen. Dass die ersten vier Paare heiraten, klingt nun mal nicht so griffig wie die ersten fünf !«
Alice schwankte vor Schreck ein wenig.
»Aber da ist vermutlich nichts dran«, fuhr Hilary ungerührt fort, nahm eine weitere Handvoll Blumen und betrachtete verzweifelt die ohnehin schon vollgestopfte Vase. »Vermutlich schweben die anderen vier Paare immer noch im siebten Himmel und leben alle glücklich in der Utopia Avenue …«
Alice ging zurück zu ihrem Schreibtisch und setzte sich. Der ganze Raum drehte sich vor ihren Augen. Also hatte Sheryl Recht gehabt mit der Scheidung. Und wenn diese Geschichte stimmte, dann war vielleicht auch alles andere wahr, was sie behauptet hatte. Verstohlen schaute Alice zu ihrer Chefin hinüber, die gerade aufgebracht versuchte, eine Fliege auf ihrem Schreibtisch mit einer Ausgabe des Brides -Hochzeitsmagazins zu erschlagen. Wie viel davon entsprach der Wahrheit, und wie weit steckte Audrey mit drin? Vermittelte sie etwa auch schlechte Dates, um mehr Mitgliedsgebühren abzuzocken?
Wie betäubt schob Alice eine Hand in die Tasche ihrer Strickjacke. Dort streiften ihre Finger etwas Weiches – Johns Taschentuch. Sie hatte es am Vorabend gewaschen und eigentlich vorgehabt, es Audrey heute zurückzugeben. Aber dann hatte sie sich nicht getraut – zu groß war ihre Furcht vor den unabsehbaren Folgen. Kaum eine Frau würde erfreut reagieren, wenn eine ihrer Angestellten ihr das Taschentuch ihres Ehemanns zurückbrachte – aber dann auch noch ausgerechnet Audrey? Und wie sollte Alice ihr die Sache erklären, ohne gestehen zu müssen, dass sie geweint hatte? Sie konnte sich gut vorstellen, mit welch schneidender Verachtung Audrey diese Beichte quittieren würde. Dann würde sie mit einem Blick auf Alice’ Augen feststellen, dass sie immer noch ganz verquollen aussahen, und sie bräuchte kein Genie zu sein, um sich denken zu können, dass Alice die halbe Nacht wachgelegen und in ihr Kissen geschluchzt hatte.
Am liebsten würde Alice den grässlichen Abend für immer aus ihrem Gedächtnis streichen – oder noch besser, die ganze Woche ! Nie hätte sie sich mit Sheryl zum Kaffeetrinken treffen dürfen. Danach war alles langsam, aber sicher bergab gegangen. Sheryl hatte sie an der Integrität ihres gesamten Berufsstandes zweifeln lassen. Der Ball – der Abend, der angeblich die Krönung ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn als Partnervermittlerin sein sollte – war eine einzige Demütigung gewesen. Und nun hatte auch noch Hilary unwissend ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt, da sich alles, was Alice über ihre Chefin zu wissen glaubte, womöglich als eine einzige große Lüge entpuppte.
Darum brachte sie es einfach nicht über sich, Audrey Johns Taschentuch zurückzugeben. Stattdessen ließ sie es, wo es war: hübsch und ordentlich in ihrer Jackentasche. Wenn sie ganz ehrlich war, fand sie es schön, dass sie es noch hatte. An das Gefühl des Stoffes konnte sie sich gewöhnen, in all der Verwirrung und dem Aufruhr hatte das Taschentuch etwas Weiches, Tröstliches, Schlichtes. Und es war im Moment das Einzige, was sich richtig gut anfühlte.
John
A uch ein Glas?«, fragte Geraldine, schwenkte verführerisch eine Flasche Rotwein vor Johns Nase und kramte in der Schublade nach dem Korkenzieher. »Keine Ahnung, wie du das siehst, aber ich finde, das habe ich mir redlich verdient. War eine lange
Weitere Kostenlose Bücher