Alice im Zombieland (German Edition)
kein einziges Wort. Das machte aber nichts. Ich wusste, von wem sie sprach, und wenn sie nicht bald aus meinem Sichtkreis verschwände, würde ich für nichts mehr garantieren können. Ich befand mich bereits auf halbem Weg zum Abgrund und schrie innerlich.
„… die anderen Mädchen beteten sie geradezu an …“
Grrrr! Die Schraube wurde fester und fester angezogen …
Das hast du verdient, sagte ich mir. Das war ein Teil meines Unglücks. Mit meinem Drängen, mit meinem Reden hatte ich meine Familie umgebracht, dafür gesorgt, dass sie in diesen Kisten lagen. Hätte ich anders agiert, nur ein bisschen anders, wären sie vermutlich noch am Leben, aber das hatte ich nicht, und da war ich nun. Da waren wir nun.
„… ihr Talent, ihr Wesen waren so etwas Seltenes und so wundervoll, und ich …“
Der Abgrund zog mich unaufhaltsam zu sich. Ich wurde aufgefressen, Stück für Stück. Diese Frau musste den Mund halten. Sie musste. Den. Mund. Halten. Das Herz schlug mir gegen die Rippen. Völlig aus dem Takt geraten. Falls sie nicht sofort aufhörte, würde ich sterben. Ich wusste, dann würde ich tot umfallen.
„… sagte ständig, sie wollte so sein wie du, wenn sie größer ist. Sie hat dich so angebetet …“
Aufhören, aufhören , aufhören! Sie redete unaufhörlich weiter über meine … Schwester …
Über Emma …
Emma, die für immer weg war … meine Lilie … einfach weg …
Ich hatte versprochen, sie zu beschützen. Ich hatte versagt.
Ein Schrei löste sich aus meiner Kehle, gefolgt von einem weiteren und noch einem. Ich nahm nichts mehr um mich herum wahr, presste mir die Hände auf die Ohren, um das Entsetzen in meiner Stimme nicht hören zu müssen. Fiel auf die Knie.
Nein, nicht nur auf die Knie, in den Abgrund fiel ich, tief und tiefer. In einen tiefen, nicht endenden Schlund der Verzweiflung, schreiend und weiter schreiend, vollkommen aufgezehrt von meiner Trauer, überflutet von meinem Schmerz.
Ich spürte Hände, die mich tätschelten, aber ich beruhigte mich nicht. Ich schrie so laut und so lange, bis endlich meine Stimme versagte und ich nach Luft schnappte und würgte. Tränen rannen mir übers Gesicht. Ein Teich von Kummer und Leid. Ich schluchzte so heftig, dass ich am ganzen Körper geschüttelt wurde. Meine Augenlider schwollen an. Ich konnte nichts mehr sehen, nicht mehr atmen, ich wollte nicht mehr atmen. Sterben wäre eine Erleichterung gewesen.
Ich weiß nicht, was danach geschah. Zum zweiten Mal in meinem Leben verlor ich das Bewusstsein. Vielleicht würde ich nie mehr aufwachen …
Aber natürlich erwachte ich wieder. In den folgenden Tagen versuchte ich mich immer mit dem Gedanken zu trösten, dass das Schlimmste, was mir jemals zustoßen konnte, bereits passiert war. Große Überraschung, es half nichts. Irgendwann akzeptierte ich, dass es nicht irgendein Albtraum war. Dies war meine neue Wirklichkeit, und ich sollte mich besser damit abfinden, sonst würden die Tränen niemals versiegen.
Jeden Abend saß ich in meinem Zimmer auf dem Sims des einzigen Fensters und blickte in den Garten hinunter. Da unten sah ich über zweitausend hügelige Quadratmeter mit Bäumen und Blumen. Ein Zaun umgab das Grundstück. Außerhalb erhoben sich bewaldete Hügel, die von silbrigem Mondlicht beschienen wurden, doch weil das Land anstieg, sah ich dahinter nichts mehr, nur die dicken Baumstämme.
Ich war müde, aber ich konnte nicht schlafen. Jedes Mal, sobald ich wegdriftete, träumte ich vom Autounfall. Ich wollte lieber meine Zeit mit der Suche nach den Monstern meines Vaters verbringen, nicht sicher, ob ich deren Existenz oder Nichtexistenz beweisen musste. Ständig dachte ich an die Male, wenn ich meinen Vater dabei überrascht hatte, wie er dasGleiche tat.
Dad hatte eine Pistole mit sich herumgetragen, obwohl ich nie einen Schuss gehört hatte. Jetzt fragte ich mich, ob man mit einer Schusswaffe etwas ausrichten könnte. Die Monster waren durch die menschliche Haut gedrungen … wie Geister … wie Dämonen, derer Existenz ich mir so ungewiss gewesen war.
Das ist albern. Es gibt keine Monster .
Und doch, einige Male nach dem Unfall war ich mir sicher, dass ich eins gesehen hatte.
Wie aufs Stichwort bewegten sich die Büsche. Ich lehnte mich vor und presste die Nase an die Glasscheibe. Wahrscheinlich der Wind, dachte ich, sah jedoch Äste, die einer nach dem anderen zu greifen schienen. Sicher waren es Zweige, keine Arme. Und das da waren Blätter, keine Hände. Ganz
Weitere Kostenlose Bücher