Alice im Zombieland (German Edition)
hatte mein neues Leben so eingerichtet, als hätten meine Mutter, mein Vater und meine Schwester nie existiert. Da hatten sie wirklich Besseres verdient. Zumindest sollten sie Anerkennung erfahren, einen Ehrenplatz erhalten.
Es wurde Zeit, erwachsen zu reagieren.
Ich hockte mich vor den Schrank und fischte blind und wie fremdgesteuert in einer der Schachteln herum. Als ich den ersten Stapel Rahmen herauszog, hüllte mich eine Staubwolke ein, und ich musste schon wieder niesen. Trotzdem hatte ich keine Lungenentzündung, noch nicht mal eine Erkältung. Okay, mir wurde mit jeder Sekunde heißer, als würde ich tatsächlich Fieber bekommen, aber das hatte was mit meinem Gefühlszustand zu tun, nichts mit einem Virus.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass mir Tränen in die Augen gestiegen waren, bis sie mir auf die Wangen tropften. Schließlich sah ich wieder klar. Da war meine Mutter. Sie sah in diesem metallicgoldenen Kleid und mit der verrückten Frisur umwerfend aus. Was für ein schönes, strahlendes Lächeln sie hatte. Und dann mein Vater. Hübsch und schlaksig, in einem schwarzen Smoking mit einer golden angesprühten Blume im Knopfloch, einen Arm um Moms Taille gelegt. Auf seinem Gesicht lag ein hektischer Bringt-mich-hier-raus-Blick.
Sie waren so jung. War das die Schulabschlussfeier? Wenn das der Fall war, hieß es, dass mein Dad abends aus dem Haus gegangen war. Kein Wunder, dass er so hektisch wirkte. Andererseits hatte Nana behauptet, er wäre mit Mom nie nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs gewesen. Also … vielleicht hatte er sich geweigert, sie zur Abschlussfeier zu begleiten, und war stattdessen irgendwo anders mit ihr gewesen, tagsüber, sozusagen als Entschädigung.
Warum hatte ich sie nie nach ihrer Teenagerzeit gefragt? Jetzt war es dafür zu spät.
Ich suchte weiter und fand endlich ein Foto von Emma. Das dichte dunkle Haar lockte sich in seidigen Wellen über ihre Schultern, ich hatte Stunden damit verbracht, jede einzelne Strähne in Form zu bringen. Nur weil sie immer Haare haben wollte, die wie meine aussahen. Irgendwie hatte sie meine Mutter überredet, ihr ein Blumenmädchenkleid zu kaufen - obwohl sie gar kein Blumenmädchen gewesen war. Dieses Ungetüm war bauschig, weiß, an der Hüfte ausgestellt und mit mehr Spitze, Rüschen und Schleifen versehen, als man unter einem Weihnachtsbaum finden konnte. Emma war fähig gewesen, dem Teufel eine Ferienreise in den feurigen Hades zu verkaufen.
Lächelnd strich ich mit einem Finger über das Glas. Em, ich vermisse dich so sehr . Wieder verschwamm alles vor meinen Augen, Tränen tropften auf den Bilderrahmen.
Ich wünschte mir so sehnlich, dass sie mir erscheinen würde. Nur noch ein einziges Mal. „Ich habe einen Jungen kennengelernt“, erzählte ich ihrem Foto. „Ich habe mich sogar mit ihm unterhalten, ohne total albern zu klingen. Er sieht wahnsinnig gut aus, ist stark und ich … hatte mir irgendwie vorgestellt … ihn zu küssen.“
Ich wusste, sie hätte darauf irgendetwas von sich gegeben wie: Ach du meine Güte! Hat er dir etwa die Zunge in den Mund gesteckt?
Ich hätte gelacht und Ja gesagt und dass es mir noch viel besser als erwartet gefallen hatte. Sie hätte sicher gerufen: Igitt! Und dann hätte ich wieder gelacht.
Jetzt würde sie nie die Gelegenheit haben, ihren ersten Kuss zu erleben. Hätte nie ein Date. Würde nie Autofahren lernen. Mich niemals über Sex ausfragen, sodass ich ihr nie alles erklären konnte, was Mom mir damals erklärt hatte. Achte darauf, dass du dir jemand Besonderes aussuchst. Jemanden, den du liebst und der deine Liebe erwidert. Deine Jungfräulichkeit ist ein Geschenk, das du nicht zweimal vergeben kannst. Und, meine Süße, du solltest warten, bis du wirklich dazu bereit bist. Nicht weil du einfach neugierig bist oder weil der Junge dich verlassen will, wenn du dich nicht darauf einlässt. Eins ist nämlich klar, wenn er dich wegen so etwas verlassen wird, benutzt er dich nur und wird dich sowieso irgendwann fallen lassen .
In der zweiten Kiste fand ich ein Tagebuch, eingebunden in zerkratztes schwarzes Leder. Auf dem Deckblatt stand nichts, doch es musste meiner Mutter gehört haben, denn es duftete nach ihrem Parfüm. Ob sie ihre Geheimnisse darin aufgeschrieben hatte? Andächtig schlug ich es auf und überflog die erste Seite.
Der Kampf hat begonnen .
Es war eine ordentliche Handschrift, aber ich erkannte sie nicht. Womöglich war sie gar nicht von meiner Mutter.
Das Böse ist hier, es
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