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Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Titel: Alicia - Gefaehrtin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Laurean und mir als seiner Gefährtin vorbehalten.
    Nur selten noch dachte ich an mein altes Menschenleben zurück, aber manchmal kamen mir, ohne dass ich es verhindern konnte, die alten Empfindungen in die Quere. Manches Mal noch suchte ich Lena in ihren Träumen auf, obwohl es mir hinterher stets aufs Neue leidtat, doch lassen konnte ich es auch nicht. Es war eine Mischung aus Sehnsucht und Gier, die schwer zu ertragen war. Doch meistens bewegte ich mich mühelos und lustvoll durch die Träume der Menschen, richtete je nach Stimmung Gutes oder Schaden an, und verließ sie wieder. Es bedeutete ja nichts, es waren nur Träume.
    Dann geschah etwas, womit ich niemals gerechnet hätte. Es war kurz vor Mitternacht und ich begleitete einen Kunden aus der Hotelbar. Vor dem Verlassen der Bar hatte ich wie stets das Amulett berührt, so dass sich niemand an mich erinnern würde. Ich hatte bereits entschieden, wie ich heute verfahren würde. Dieser Mann war eindeutig geeignet, für das nächste Sânge Prospăt zu Diensten zu sein. Er war von ungewöhnlich stattlicher Statur und überragte mich um einen ganzen Kopf. Ich wusste, dass er auch Laurean gefallen würde. Wir hatten an der Hotelbar einige Drinks eingenommen, deren Alkoholgehalt meinen Begleiter sichtlich benebelte, während ich von der Wirkung unberührt blieb.
    «Du verträgst ja ordentlich was, Süße», hatte er gesagt und seinen Blick ungeniert in den tiefen Ausschnitt meines Kleides wandern lassen.
    «Lass uns zu mir gehen, mein Großer, es wird dir gefallen», hatte ich ihm daraufhin in das Ohr gesäuselt und mein Knie sanft in seinen Schritt gedrückt. Es war beinahe lachhaft, wie leicht die Menschen zu lenken waren. Als ich noch eine gewöhnliche Frau gewesen war, hätte ich es niemals gewagt, einen Mann so ungeniert zu verführen. Ich hätte gezweifelt, ob ich ihm wirklich gefiel, ob er mich vielleicht zurückweisen würde, oder ob er mich gar für eine hielte, die gleich mit jedem ins Bett ging? Doch diese Überlegungen spielten nun keine Rolle mehr, da ich mir meiner Wirkung sehr bewusst war. Ich war größer geworden und das Haar fiel wie ein schwarzer, seidiger Wasserfall über meinen Rücken. Für die Kunden kleidete ich mich so, wie sie es erwarteten: Knappe Kleider betonten meine langen, wohlgeformten Beine und die vollen Brüste. Keiner von ihnen hatte es sich bei meinem Anblick je anders überlegt. Inzwischen hatte ich mir angewöhnt, ein wenig mit ihnen zu spielen, um die Vorfreude länger auszukosten. Diesen Mann hatte ich auf dem Barhocker zappeln lassen, bis mein eigener Blutdurst kaum noch zu zügeln war. Als wir die Bar verließen, musste ich mich beherrschen, damit ich meine Reißzähne nicht sofort fletschte.
    «Isa … ich glaube es nicht … bist du das?»
    Ein Paar war uns im Eingang zur Bar entgegengekommen, beinahe wären wir zusammengestoßen. Die Frau war unter ihrer gepflegten Sonnenbräune blass geworden und starrte mich an, ihr Begleiter nicht minder.
    «Isa, das kann doch nicht sein … du bist … du siehst …», stotterte die Frau. Die Begegnung kam so unerwartet, dass ich sie nicht sofort erkannte. Außerdem trug sie die Haare kürzer und rötlich gefärbt. Das war merkwürdig, denn in ihren Träumen hatte sie ausgesehen wie früher. Früher? Ich hatte keine Vorstellung davon, wie lange es her sein mochte, dass ich sie auf dem Polterabend zuletzt gesehen hatte. War es ein Jahr, fünf oder zehn?
    «Lena», sagte ich . Sie so unvermutet in der Wirklichkeit zu sehen traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich vergaß den Kunden, der einen Schritt hinter mir verlegen von einem Fuß auf den anderen trat. Plötzlich wünschte ich, alles wäre nur ein schlimmer Traum gewesen, mein schlimmer Traum, und nicht Lenas. Ich würde aufwachen und keine blutdurstige Salizarin sein, natürlich nicht, denn so etwas gab es ja gar nicht, nicht wahr, es gab keine Vampire . Ich würde mir die Augen reiben, unter die Dusche springen und dann Lena anrufen. Stell dir vor, ich habe was total Ekliges geträumt, würde ich sagen und ihr alles im Detail erzählen, dann würden wir gemeinsam darüber kichern und wenn wir uns das nächste Mal zur Begrüßung umarmten, dann würde sie mir zum Spaß leicht in den Hals beißen, und wir würden um die Wette kreischen, und alle Umstehenden würden den Kopf schütteln und lächeln über die beiden Mittdreißigerinnen, die so unbefangen miteinander herumalberten wie Halbwüchsige.
    «Wie siehst du nur aus …

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