Alicia II
offensichtliche und beunruhigende Beziehung zwischen Beinhaus und Erneuerungskammer.
Da sie mich für ausgemustert hielt, entschloß ich mich, in diesem Sinn weiterzuspielen.
»Ich würde dem Beinhaus gern entgehen, das kann ich dir versichern«, sagte ich.
»Ja, nun … ja-a.«
»Wenn meine Zeit gekommen ist, könnte ich mich verstecken …«
»Untertauchen.«
Sie berichtigte mich ungezwungen, beiläufig.
»… hier in Hough. Ich weiß, es ist vergeblich, aber wenn es so aussieht, als würden sie mich festnehmen …«
»Dich fangen.«
»… dann möchte ich an meinem Körper etwas machen lassen, ihn sabotieren. Vielleicht weißt du einen Ort, wo ich mich verstecken – wo ich untertauchen könnte.«
Plötzlicher Argwohn in ihren Augen.
»Vielleicht, Freund, vielleicht.«
Der negative Klang ihrer Versicherung gefiel mir nicht. Das war ein falscher Schritt gewesen. Ich entschloß mich zu einem Rückzieher und fiel in den gleichen verzweifelten Ton wie sie vorhin.
»Ach, es hat ja alles keinen Zweck. Ich werde mich vor dem Beinhaus anstellen wie alle anderen … alle anderen …«
»Ein Geschenkpaket für einen Unsterblichen.«
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit von mir ab und den vorbeigehenden Leuten und Gebäudefassaden zu, als stelle sie eine Namensliste für die Jury auf. In diesem Augenblick hatte ich Angst.
»Komm«, sagte sie schließlich. Sie zog an meinem Arm, damit ich schneller ging. »Du hast Geld, und wir sollten Gebrauch von der Zeit machen, die uns bleibt. Gehen wir irgendwohin.«
Erleichterung. Ich war für sie vor allem ein zahlender Kunde, ganz gleich, in welchem Verdacht sie mich haben mochte. Ich sagte mir, der Status eines Menschen werde bei den Spielen von Hough wohl unwichtig sein. Was beweist, wie ahnungslos ich war.
Mary führte mich zu einem mit Tupfen übersäten Gebäude, das ähnlich aussah wie ein Seurat-Gemälde, nur mit größeren Kreisen. Das Licht, das über seine Front wanderte, erzeugte einen eigentümlichen Welleneffekt. Ich blieb fasziniert stehen.
Ich hätte Stunden damit verbringen können, dies Schauspiel zu betrachten, aber Mary zupfte mich und befahl: »Hinein!«
Hinein. Nun, auch das Innere war eine Überraschung für mich. Das Innere war ganz und gar nicht wie das Äußere.
Keine sanften Farben, keine weiche Beleuchtung, kein feiner Zirkusnebel, keine einlullenden oder ätzenden Gerüche. Wir stiegen mit einem dicken grauen Teppich belegte Stufen hinauf. Die Wände links und rechts von uns waren mit tief rotem Samt in einem Rautenmuster bespannt. Die hohe Mahagonitür am Ende der kurzen Treppe war flankiert von eingelegten Holzstatuen, die vage prä-raffaelitisch aussahen.
Die Tür wurde uns von einem skeletthaft dürren Mann in Butlerkleidung geöffnet. Er verbeugte sich, als wir vorbeigingen, und ich meinte, irgendwo in der Nähe seiner Gürtellinie ein Scharnier quietschen zu hören.
Der Raum, den wir jetzt betraten, war wie ein Gentleman-Club des späten 19. Jahrhunderts gestaltet und eingerichtet.
Groß, mit hoher Decke, Schwaden von Zigarrenrauch, die sich verflochten und verschwanden, wuchtige Sessel, solide Tische, Bücherschränke an den Wänden, Bücher in schönen Ledereinbänden, Kellner mit hocherhobenen Tabletts, die sich würdevoll durch den Raum bewegten und die Leute in den Sesseln bedienten. Nicht zu der üblichen Vorstellung von einem Gentleman-Club paßte die Anwesenheit von Frauen, die fast alle ebenso herausfordernd gekleidet waren wie meine Begleiterin. Die sich eifrig unterhaltenden Stimmen hatten außerdem einen rauhen Klang, der nicht auf Gentlemen schließen ließ. Vielleicht, dachte ich, könnte es bei einem Herrenabend, der in den Räumen eines Clubs abgehalten werden darf, so zugehen.
Mary, die mich immer noch am Arm zog, als sei ich ein sich sträubender Hund, führte mich in eine Ecknische, wo wir auf einem viktorianischen Liebessessel Platz nahmen. Mir wurde beim Anblick der von Schnörkeln umgebenen Kupidos und Blumen, die den Bezugsstoff des Sessels schmückten, etwas schwindelig. Ich zog das Muster mit dem Finger nach. Mary knuffte mich gegen den Arm. Ich blickte hoch und fand mich einem snobistisch wirkenden Kellner gegenüber, der mich offenbar als den letzten Dreck ansah und auf meine Bestellung wartete. Ich bat Mary, für uns zu bestellen, um die Tatsache zu verschleiern, daß ich keine Ahnung hatte, was es in einem Lokal wie diesem gab. Sie sagte dem Kellner, zwei Gin mit Tonic. Er schloß sie in seine Verachtung
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