Alicia II
fragst, wo du mir so oft weggelaufen bist.«
»Es ist in Ordnung, wenn ich es tue. Aber du bringst die Leute aus der Fassung.«
»Du nicht, nehme ich an.«
»Ich glaube wirklich, das tue ich nicht.«
»Du bringst mich aus der Fassung.«
»Ja, aber du verzeihst es mir immer.«
»Vielleicht auch nicht.«
»Dann läßt du es eben bleiben. Ich schließe ständig Kompromisse. Diese Gewohnheit stammt aus meiner Arbeit. Aber Ben hat sich wirklich darüber aufgeregt, daß du so formlos verschwunden bist.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe ihn gefragt.«
»Und er hat dir geantwortet, er habe sich aufgeregt.«
»Das eigentlich nicht. Er sagte, das sei ganz in Ordnung. Ich sagte ihm, er solle den Mund halten, natürlich rege er sich darüber auf. Ich sagte, das könne jeder sehen. Ich wandte mich an diese Frau – wie heißt sie doch gleich, du weißt schon, Stacys Mädchen …«
»June Albright.«
»Richtig. Richtig, Albright. Ich wandte mich an Richtig June Albright, die sich selbst sehr darüber aufzuregen schien. Liebt sie dich auch? Beantworte mir das später – jedenfalls, ich fragte sie, ob sie nicht sehe, daß Ben sich aufrege, und sie antwortete, sie könne beim besten Willen nicht sagen, ob Ben sich aufrege oder nicht. Dann sprach ich von neuem zu Ben und sagte – du verstehst? Also. Aber er hat sich ganz bestimmt aufgeregt, und ich habe so eine Ahnung, nicht allein deswegen, weil sein alter Kumpel Vossilyev sich unhöflich verdrückt hatte.«
»Ich wollte nicht unhöflich sein.«
»Natürlich wolltest du es; warum hättest du es sonst getan? Vergiß nicht, ich bin die Expertin auf diesem Gebiet. Liebt sie dich, diese Richtig June Albright?«
»Du hast sie mit Stacy gesehen.«
»Stacy dient ihr vielleicht nur als Weg zu dir.«
»Wenn das stimmt, dann ist es ein gefährlicher Weg.«
»So? Erkläre mir das genauer.«
»Hör auf damit, Alicia.«
»Jesus Christus, bist du empfindlich! Aber komm.«
»Wohin?«
»Du wirst mich heute zum Außendienst begleiten. Ich muß eine St. Ethel-Siedlung besuchen. St. Ethel-Camp wird sie zuweilen genannt. Das ist mal eine Abwechslung für dich. Vielleicht bekehrst du dich.«
»Ist es weit von hier?«
»Auf der anderen Seite des Flusses. In New Jersey, wie wir die Gegend trotz aller vorgeschriebenen anderen Namen immer noch nennen. Erinnerst du dich an New Jersey? Es wurde in einem Krieg oder einer Revolution oder so etwas ziemlich zerstört. Jedenfalls werden wir in einem Boot über den Drecksfluß setzen und für den übrigen Weg einen Schlammschlitten nehmen.«
»Einen Schlammschlitten? Was ist ein Schlammschlitten?«
»Genau das, was du dir darunter vorstellst. Auf der anderen Seite des Flusses ist alles ein wenig primitiver als hier. Das Gras ist bestimmt nicht grüner, weil es dort kein Gras gibt. Du wirst schon sehen.«
15
Alicia hatte die primitiven Zustände nicht übertrieben. Teile des Staates hatten sich in Sumpf verwandelt – die Folge davon, wie Alicia erklärte, daß das Land während der gefährlichen radioaktiven Periode so lange unbewohnt gewesen war. Ich erinnerte mich undeutlich, daß ich in meiner Jugend eine Weile in New York City gelebt hatte und daß über der Stadt ein Energie-Schutzschirm errichtet worden war. Ich wußte nicht mehr, wann die Luftzusammensetzung sich so weit verbessert hatte, daß auf die Kuppel verzichtet werden konnte.
In dem Schlammschlitten waren keine Kissen. Er hatte zwar Seitenfenster, aber sie erwiesen sich als unzureichender Schutz vor Schlammspritzern. Ein Glück, daß ich einen alten Anzug anhatte. Später entdeckte ich Tausende von kleinen braunen Flecken auf dem dunklen Stoff. Aber wenn es dem Schlammschlitten auch an Schönheit gebrach, so verfügte er doch über Kraft und pflügte sich durch die häufig vorkommenden Stellen von düsterem, sumpfartigem Boden, wie seine winterlichen Gegenstücke über Schnee gleiten. Und das mit beträchtlicher Geschwindigkeit.
In einigen der zerstörten Gebiete sah ich die Überreste alter Häuser und ein Zeichen oder zwei aus dem Schlamm herausragen. Ich fragte Alicia nach der allgemeinen Beschaffenheit des Bodens. Sie meinte, es sei einmal gutes Land gewesen, und sie wisse nicht, weshalb es sich in einen solchen Morast verwandelt habe. Das Tafelland war aus irgendeinem Grund überflutet worden. Nun war es schon viele Jahre lang in diesem Zustand.
Das St. Ethel-Dorf selbst war eine Überraschung. Es stand, umgeben von einem gigantischen Sumpf, auf
Weitere Kostenlose Bücher