Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
keinen einzigen der Feinde gefangennehmen
können. Ebenso wenig hatte man an den Wrackteilen, die man unter
immensen Kosten geborgen hatte, keinen Tropfen Blut entdecken
können. Ob der Feind überhaupt Blut im Körper
hatte?
Als nachträgliche Ergänzung fügte die Stimme hinzu,
daß drei Einmannschiffe bei der Aktion verlorengegangen seien,
und – knips – zeigte der Trivia-Schirm nun Bilder aus Rio
de Janeiro, zeigte die Menschenmenge, die sich unter Palmen die
breiten sonnigen Avenidas entlangschob. Souveränitätstag.
Genau eine Woche bevor Dorthy das Solarsystem verlassen hatte –
und am Ende für den Krieg eingezogen worden war.
Lange Zeit war BD Zwanzig für sie kaum wichtig gewesen; wie
für die meisten Bewohner der Föderationswelten war es eine
weit entfernte, irrelevante Affäre, in sicherer Quarantäne
gehalten durch die interstellare Distanz. Ganz unscheinbar hatte sie
mit dem Verlust einer unbemannten Sonde begonnen. Diese Dinger
verschwanden häufig. Ehe die Sonde ihre Funksignale einstellte,
hatte sie noch durchgeben können, daß der Stern, dem sie
sich näherte, kein Planetensystem, sondern nur einen breiten
Gürtel von Asteroiden besaß, die wie mißlungene
Kopien einiger Welten von Erdgröße wirkten. Diese Daten
schlummerten zwanzig Jahre lang ungenutzt, ehe ein Telemetrie-Student
auf der Suche nach Fakten für seine Dissertation eine
vorläufige Sichtung dieser Daten vornahm und herausfand,
daß der Asteroiden-Gürtel gespickt war mit
nadelkopfgroßen Neutrinos, von denen sich viele entgegen der
allgemeinen Orbitalrichtung bewegten. Nur nukleare Wechselwirkungen
erzeugen Neutrinos: Sterne sind hervorragende Erzeuger, wie auch
Fusions- und Fissionskraftwerke.
Eine bemannte Expedition wurde ausgeschickt. Einen Monat
später kehrte sie schwer angeschlagen zurück: Die
Hälfte der Teilnehmer war tot, die Schiffshülle ziemlich
durchlöchert, die Lebenserhaltungssysteme fast völlig
vernichtet. Etwas sehr Feindseliges und Gefährliches lauerte in
der Nähe von Bonner Durchmusterung +20° 2465.
Dorthy steckte mitten in den Vorbereitungen zum praktischen Teil
ihrer Dissertation, verfolgte aber wie alle anderen in der lockeren
Atmosphäre des Fra Mauro Observatoriums die Berichte, lauschte
den Meinungen in den Bars und Cafes und tat manchmal sogar ihre
eigene Meinung dazu kund. Viele ihrer Kommilitonen und auch andere
Leute waren bitter enttäuscht, daß die ersten wirklich
intelligenten Außerirdischen, auf die man traf, so unmittelbar
und unwiderruflich feindlich eingestellt sein sollten. Doch die
Astronomen zuckten nur die Achseln. Das Universum war für das
Leben im besten Fall eben doch nur ein kleiner Randbereich.
Für Dorthy bestätigten sich damit wieder einmal ihre
Kindheitserfahrungen: Dinge sind eben doch nicht das, wozu man sie
macht (auch wenn der längst verlorene amerikanische Optimismus,
der einmal die halbe Erde beherrschte, dies immer wieder propagiert
hatte), sondern sie sind immer das, was sie sind, und dabei weder gut
noch schlecht. Das potentiell Böse hängt nicht in den
Sternen, kommt auch nicht von den Sternen, sondern ist in uns
selbst.
Zudem hatte die Macht über ein TALENT wie das ihre sie
gelehrt, daß jede Entdeckung, jeder scheinbare Gewinn im besten
Fall doch nur ein Geschenk mit zwei Seiten sein kann.
Sie erarbeitete gerade das Instrumentarium für ihre
Experimente, als auch eine zweite Expedition bei BD Zwanzig
zurückgeschlagen wurde. Das bedeutete offenen Krieg.
Frachtschiffe wurden mit Phasen-Antrieben ausgerüstet,
Aufklärer bewaffnet, gewöhnliche Linienschiffe der Gilde
beschlagnahmt. Es kursierte sogar das Gerücht über den Bau
von Schlachtschiffen. Doch war niemand sonderlich beunruhigt. Die
Außerirdischen, die jeder jetzt den FEIND nannte, schienen den
Phasen-Antrieb nicht zu kennen und mußten sich mit weniger als
Lichtgeschwindigkeit begnügen. Für sie konnte eine Reise
von Stern zu Stern Jahre dauern, nicht nur ein paar Wochen. Es war
daher unwahrscheinlich, daß sich der Konflikt über ihr
eigenes Sternensystem hinweg ausweitete.
Mitten in dieser Aufrüstungsphase begab sich Dorthy auf ihre
Solo-Expedition, die in einem langen und langsamen Kurs durch die
Oort-Wolke führte, um dort die Wasserstoff-Kondensation im
Bereich der Solarwinde zu erforschen. In der ersten Woche,
während sie einen Orbit nach dem anderen passierte, verfolgte
Dorthy intensiv die Nachrichten, die ihr täglich in
Fünf-Sekunden-Maserwellen überspielt wurden. Doch
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