Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
ob es das auch
in der richtigen Weise tut. Serotonin, Acetylcholin… und was
diese Kurve da bedeutet, frage ich mich schon die ganze Zeit.«
Er zeigte auf eine gezackte Linie auf dem Ausdruck.
»Eine Art Noradrenalin-Derivat. Ich kenne mich da nicht so
gut aus. Ich bin Astronom, kein Biochemiker.«
Kilczer fuhr sich durch das schwarze Haar. »Mit Bestimmtheit
sagen kann ich nur, daß es nicht abstirbt. Hoffen wir,
daß es sich nur um abklingende Nachwirkungen handelt. Treten
Ihre Anfälle in den letzten Tagen vermehrt auf?«
»Ich habe zwei oder drei am Tag – nicht mehr, nicht
weniger. Ich versuche, viel zu schlafen.«
»Das ist mir schon aufgefallen. Hören Sie, Dr. Yoshida,
die Leute beschweren sich schon darüber, daß Sie sich zu
sehr zurückziehen. Dies und die Tatsache, daß Sie nach
draußen zu einem Forschungsstützpunkt gehen werden, sorgt
bei den anderen Wissenschaftlern zunehmend für Unmut.«
»Zum Teufel damit, was die anderen denken. Ich will nur
wieder von diesem verdammten Planeten herunter. Ich habe nicht darum
gebeten, hierherzukommen. Man hat mich gegen meinen Willen
hergebracht, dabei mein Implantat beschädigt – und hier ist
niemand, der es richten kann. Zu allem Überfluß muß
ich hier tagelang herumhocken und auf diesen Kerl, diesen Duncan
Andrews, warten. Begreifen Sie doch endlich – ich habe starke
Schmerzen, wenn bei einem meiner Anfälle zu viele Menschen
in der Nähe sind. Sie können das sicher nicht verstehen,
aber so ist es nun mal. Also lassen Sie mich gefälligst in
Frieden, verstanden?«
Ihre Schläfen schwollen vor Zorn, Tränen stiegen ihr in
die Augen. Sie atmete mehrmals tief durch.
Leise sagte Kilczer: »Ich weiß, ich kann nichts
für Sie tun. Das tut mir sehr leid. Ich habe schon den
Kommandierenden Arzt beim Orbitalkommando konsultiert, aber sie
weiß darüber ebensoviel wie ich – nämlich
nichts. Ihr Implantat ist urheberrechtlich geschützt, und wir
können kaum den ganzen Flug zur Erde unternehmen, um uns das
Gen-Display dafür zu besorgen und die Kopiergebühr zu
bezahlen. Ich könnte Ihnen ein Beruhigungsmittel geben. Aber ein
Tranquilizer hat das ganze Dilemma ja erst verursacht.«
»Tut mir leid, ich wollte Sie nicht so anfahren. Aber es ist
schon frustrierend, verstehen Sie das nicht?« Dorthy
lächelte unsicher. »Normalerweise habe ich mein TALENT
unter Kontrolle – mehr oder weniger.«
»Duncan Andrews wird bald hier sein. Dann können Sie
Ihren Job erledigen.«
»Nehmen wir mal an, ich tue, was ich kann – und man
läßt mich nicht nach oben. Was dann?«
Arcady Kilczer hob die Schultern. »Was soll ich dazu sagen?
Ich bezweifle, daß selbst Colonel Chung das gesamte Vorhaben
kennt.«
Dorthy erinnerte sich wieder an das kurze Aufblitzen verdeckter
Furcht im sonst fein säuberlich geordneten Bewußtsein des
Colonels.
»Vielleicht kann Duncan Andrews ein gutes Wort für Sie
einlegen«, fuhr Kilczer fort. »Er hat
Einfluß.«
»Vielleicht.« Aber Dorthy glaubte nicht daran. Zu vieles
hatte sie bisher über Andrews gehört – über
seinen ständigen Kampf mit der hydraköpfigen
Navy-Administration, über seinen sagenhaften Reichtum, über
seine Langlebigkeit (es ging das Gerücht, er sei über ein
Jahrhundert alt – älter als die Föderation). Über ihn ärgerten sich die Wissenschaftler draußen in
der Station oder im Camp nicht. Im Gegenteil, sie verehrten ihn
dafür, den wissenschaftlichen Part der Expedition erst
möglich gemacht zu haben. Sie schilderten ihn als eine
unglaubliche Kombination aus Einstein und Beowulf. Dorthy wußte
zu viel über menschliche Fehleinschätzungen, um nur die
Hälfte dessen zu glauben, was sie über den Mann hörte.
Trotzdem keimte in ihr etwas Hoffnung auf, daß er für ihre
Nöte ein wenig Sympathie und Verständnis aufbrachte und
einen Weg fand, ein Shuttle für sie anzufordern. Bis dahin
minimierte sie externe Irritationen dadurch, daß sie den
anderen Menschen hier nach Möglichkeit aus dem Weg ging, und
versuchte, ihre inneren Ängste durch hartes Arbeiten und weite
Läufe in die wirre Landschaft außerhalb des Camps zu
beschwichtigen. Sie ging früh zu Bett und schlief,
erschöpft von der schweren Arbeit bei den Probebohrungen, auch
sofort ein. Weil Kilczer ihr während der Erholungsphase ihres
Implantates Arzneimittel auf chemischer Basis verweigerte, wachte sie
meist früh am Morgen auf – in dem beständigen roten
Licht der Sonne, die sich um kaum wahrnehmbare Gradbruchteile immer
weiter über
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