Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
schon, warum im Camp so wenig zu finden war.
Was glauben Sie, warum sie unsere Sachen mitschleppen?«
Dorthy unterließ es, ihm die Antwort zu geben, die auf der
Hand lag – nämlich, daß er bezüglich der
Hüter unrecht hatte. Statt dessen schlug sie vor: »Sollen
wir weitergehen? Meine Kleider sind inzwischen wieder halbwegs
trocken.«
Kilczer nahm den Draht, als wolle er ihn einstecken.
Stirnrunzelnd betrachtete er ihn, ließ ihn dann wieder ins
Feuer fallen und drehte sich um. »Gehen wir«, sagte er rauh
und stapfte davon, ohne auf sie zu warten.
Etwa zwei Stunden wanderten sie weiter. Das offene Land wurde
hügeliger und steiler. Große hölzerne
Farngewächse wuchsen in Stauden aus dem Boden. Plötzlich
krümmte sich Dorthy unter heftigen Magenkrämpfen. Kilczer
stützte sie und hielt ihr die Haare zurück, während
sie erst halbverdaute Fleischstücke, dünne, bittere Galle
und zum Schluß nur noch hellen, klebrigen Chymus erbrach. Ihr
Magen rumorte heftig, und sie empfand eine klägliche Scham. Als
sie sich schließlich wieder aufrichtete, wurden ihre Augen von
roten Strahlen geblendet, die das Schwindelgefühl im Kopf nur
noch verstärkten. Durch einen breiter werdenden Spalt in der
schwarzen Wolkendecke schien die riesige Sonne. Wenige hundert Meter
weiter wurde Dorthy erneut von Krämpfen geschüttelt, aber
da war nichts mehr, das sie hätte erbrechen können. Alles
drehte sich, und sie setzte sich auf den Boden und lehnte ihren Kopf
gegen einen Stein, konzentrierte sich ganz auf ihre Atmung und die
kalte Berührung des Felsens an Wange und Kinn. Und ringsum sie
herum die hallende Stille der außerirdischen Welt…
Kilczer hockte sich ein Stück abseits auf einen Flecken
nasser Flechten. Sein schmales Gesicht war schneeweiß.
»Das Zeug zu essen war halt eine Chance für uns«,
meinte er leise.
Wenig später raffte er sich auf und verschwand in einer
Waldzunge. Als er zurückkam, zerrte er mehrere lange,
abgebrochene Äste hinter sich her. Mit dem Messer schnitt er die
Zweige herunter, schälte die nasse Rinde von dem toten,
trockenen Holz in der Mitte und schichtete die Stücke in ein
Nest aus braunen, verwelkten Farnwedeln. Dann zündete er sie mit
seinem Raumfeuerzeug an. Die Wedel knackten und knisterten, wurden
ein schneller Raub der Flammen. Endlich begann das Holz zu glimmen.
Harzig riechender Rauch quoll auf. Dorthy sank neben dem Feuer
zusammen und genoß dankbar die sich ausbreitende
Wärme.
»Wir werden hier rasten«, sagte Kilczer. »Ist kein
schlechtes Feuerchen, wenn ich es mir so anschaue.«
Dorthy gelang ein leichtes Lächeln. »Ich könnte im
Moment sowieso nirgends hingehen.«
Für die nächsten beide Tage war das Feuer ihr
Orientierungspunkt. Wer sich gerade dazu in der Lage fühlte,
ging in den Wald und sammelte abgefallene Äste und tote
Farnstengel. Das Brennmaterial wurde sorgfältig rings um die
Feuerkuhle zum Trocknen ausgelegt und dann verbrannt. Ebenso
willkommen wie die Wärme war der helle Feuerschein, und es
schien Dorthy, als ob jegliche Hoffnung zu überleben schwinden
müßte, sollte das Feuer erlöschen. Beide wurden sie
von juckendem Ausschlag, Durchfall, Schüttelfrost und
Hitzewallungen geplagt – Reaktionen ihrer Körper auf die
nichtirdischen Moleküle im Fleisch.
Der Regen verzog sich, die Sonne beherrschte wieder den dunklen,
wolkenlosen Himmel. Kilczers rasselnder Husten verschlimmerte sich
wieder, je trockener die Luft wurde, doch ansonsten schien er nicht
so mitgenommen wie Dorthy – wahrscheinlich, weil er schon
über längere Zeiträume auf anderen Welten gelebt
hatte. Um die Zeit totzuschlagen, erzählte er Dorthy von diesen
Welten: von Elysium, Serenity, von Nowaja Semlja, von der Expedition
zu dem binären weißen Zwergstern Stein 2051 – alles
in jenen Tagen, als er sich mehr seinem Beruf als Medizin-Techniker
und Arzt verbunden fühlte als seinem Forschergeist, ehe die
Gilde ihm gestattete, seinen wirklichen Interessen auf dem Gebiet der
Neurobiologie nachzugehen. Und er erzählte ihr von Nowaja Rosja,
einst eine erdähnliche Welt, die vor einer halben Million Jahren
Ziel eines solch massiven kosmischen Bombardements wurde, daß
ihre Biosphäre bis auf ein Prozent völlig zerstört
wurde. Nun waren nur noch die Pole dieser Welt bewohnbar. Die
übrige Oberfläche versank unter den Wassermassen und in
einem Kohlenwasserstoff-Gemisch, das sich beim Perihel des
exzentrischen Planetenorbits in eine kochende Brühe verwandelte
und sich beim
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