Alien Earth - Phase 1
Molotowcocktails.
»Was hast du vor, Schlitzer?«
»Reg dich ab, Kitty. Ein bisschen Spaß haben, mehr nicht.« Er zog den Stofffetzen aus dem Flaschenhals. »Überleg mal. Wenn sie nicht kommen, was dann? Dann haben wir hier die ganze Nacht gehockt und uns die Ärsche vor Kälte und Schiss abgefroren. Für nichts. Und morgen geht es wieder auf Schicht, sonst setzt es Schläge. Na ja, und wenn sie doch noch kommen, dann haben wir wenigstens noch mal was von unserer Freiheit gehabt.«
»Lass den Mi…«
Schlitzer setzte die Flasche an und trank. »Baaaah! Brennt im Hals besser als auf einem verdammten Bahnbullen, wenn ihr mich fragt!« Er hielt die Flasche in die Runde. »Sonst noch wer?«
Bongo riss ihm die Flasche aus der Hand und nahm tiefe Schlucke, als wäre es Wasser. Hustend und würgend setzte er sie wieder ab.
Wieselflink sah aus dem Augenwinkel zu Kitty. Der Moment der Entscheidung. Würde Kitty dazwischengehen?
Sie war zu klug dazu. Kitty griff sich die Flasche und trank sie in einem Zug aus. »Du hast recht, Schlitzer. Brennt wirklich gut. Hast du noch eine?«
Schlitzer hatte. Flaschen kreisten, der Vorrat der Molotowcocktails schmolz dahin. Wieselflink nahm das Zeug in den Mund - die Alkohol-Öl-Mischung brannte wie Feuer - und spuckte so viel wie möglich davon zurück in die Flasche. Keiner bekam es mit.
»Schmeckt fast wie das Zeug, das mein Schwager früher
gebrannt hat«, bemerkte Stahlfaust, nachdem sie den vierten Cocktail geleert hatten.
»Muss ein Scheißbrenner gewesen sein, dein Schwager«, sagte Schlitzer.
»Scheißbrenner und Scheißkerl. Hat mich dazu überredet, meine Kohle in so’nen Gentech-Fonds zu stecken. Und noch einen Kredit zu nehmen, um mehr reinzustecken. Rinder so groß wie Elefanten, hat er mir versprochen. Schmecken nach Strauß. Mager, so wie’s die Leute wollen. Todsichere Sache. Stellt sich raus, dass die Elefantenrinder einen bitteren Nachgeschmack haben. Keiner will die Viecher fressen, nicht mal andere Viecher. Das war’s gewesen. Jetzt hock ich hier und zerschnitzel tote Riesentiere und fress Hundefutter. Ich sag euch, wenn ich jemals rauskomm, ist er dran.«
Wieselflink tränkte den taub gewordenen Mund mit Molotows, setzte den interessierten Blick auf, den er bei Fleischberg gelernt hatte, und stellte die Ohren auf Durchzug. Die üblichen sentimentalen Geschichten. Er konnte sie nicht mehr hören. Verschuldet. Übernommen. Irgendwie nicht klargekommen. Einmaliger Fehltritt. Ein Versehen. Nicht so gemeint. Hätte ich nur gewusst! Immer hatte jemand anderes Schuld. Der böse Nachbar. Ein Verwandter, ein Kumpel, der einen hat hängen lassen. Ein Boss, der einen gefeuert hat. Grundlos. Die Umstände. Die verdammten Aliens, die die Wirtschaft abwürgten. Die Flut, die einem das Haus unter den Füßen weggespült hat. Die Sonne, die einem die Ernte weggebraten hat. Eine Weile schafften es die Leute meistens noch, sich über Wasser zu halten. Dank neuen Krediten. Irgendwann aber holten die Kredite sie ein, oder sie kamen dem Gesetz in die Quere - und fanden sich in einem Zug wieder.
Der süße Bongo hatte ein Lockstoffdeo mitgehen lassen. Die Sensoren an der Ladenschleuse hatten ihn erschnüffelt, bevor irgendein Mädchen dazu Gelegenheit gegeben hatte. Schlitzer hatte man bei einer Alienisten-Demo aufgegriffen. Ein furchtbarer Irrtum, beteuerte er, er war nur zufällig vorbeigekommen. Aber irgendwie hatte er es nicht hingekriegt,
den Irrtum auszuräumen. Wieselflink bezweifelte, dass er es je hinkriegen würde. Und selbst wenn es ihm gelang: Einer wie Schlitzer gehörte nicht mehr nach draußen.
Kitty schwieg sich aus, jammerte nicht herum. Das gefiel ihm. Wie ihr Piratentuch. Wieselflink hätte sogar darüber weggesehen, dass sie mindestens so kräftig wie Schlitzer oder Stahlfaust war. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit hätte sie ihn angezogen. Aber hier … Wieselflink hatte keinen Sex mehr gehabt, seit man ihn zu den Nomaden verfrachtet hatte. Sex machte krank. Sex brachte immer die Gefahr einer Beziehung mit sich. Und eine Beziehung war nur unnötiges Gepäck. Wieselflink konnte es nicht gebrauchen. Jedes Gramm zählte, wenn er es je wieder nach draußen schaffen wollte. Nach Kairo, wo das Leben auf ihn wartete, das er verdiente.
Bongo, Schlitzer und Stahlfaust ergingen sich in Erinnerungen, begannen bald, sich zu wiederholen. Es ging allen Nomaden so. Das alte Leben schien so weit entfernt und fremd, dass es einem entglitt. Was blieb, war
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