Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Enttäuschung.«
Lodesh hielt sich ganz still; keine Regung spiegelte sich auf seinem Gesicht.
»Ihr habt Euch gewissenlos, selbstsüchtig und wenig ehrenhaft gezeigt. Reeve würde sich für Euch schämen«, schalt Nutzlos, und Lodesh erbleichte. »Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?«
»Nichts.« Das klang leise und ausdruckslos.
»Nutzlos …«, flehte Alissa.
»Ruhe«, sagte er und wandte sich wieder Lodesh zu. »Ich entscheide hiermit, dass dir der Titel des Stadtvogts aberkannt wird, Lodesh Stryska, und dass du die Euthymienblüte fortan ausschließlich als Familienwappen tragen wirst, nicht als Symbol für die Liebe deiner Stadt.«
Lodesh wurde noch blasser, und in seinen grünen Augen flackerte zum ersten Mal Angst auf.
»Du darfst die Zitadelle nicht betreten«, fuhr Nutzlos fort, »bis du deinen Titel wiedererlangst, oder die Gnade desjenigen, der dort Hof hält.«
»Nutzlos!«, rief Alissa. Lodesh wurde praktisch ins Exil verbannt!
»Darüber hinaus«, fuhr er fort, »wirst du zum Bewahrer auf Probe herabgestuft.«
Lodesh hob den Kopf, und Alissa verstand nicht, warum seine Augen zu leuchten begannen.
»Als solcher darfst du die Feste und ihre Ländereien nicht verlassen, außer in angemessener Begleitung. Du wirst deine moralische Unterweisung bei mir wiederaufnehmen, bis ich zu der Ansicht gelange, dass du dir der Tragweite deiner – Entscheidungen vollkommen bewusst geworden bist.«
»Was?«, fragte Alissa Connen-Neute. »Was soll das heißen?«
Connen-Neute grinste. »Er ist wieder ein Bewahrer-Schüler.«
»Ihm wurde also verziehen?«, fragte sie.
»Nein. Aber sein Verrat an der Feste ist gesühnt und seine Schuld getilgt, durch den Verlust seines Titels.«
»Sofern«, mischte sich Nutzlos in ihre private Unterhaltung ein, »du damit einverstanden bist, Alissa.«
»Ja!«, rief Alissa. »Natürlich!«
»Schön«, sagte Nutzlos. »So sei es.« Er leerte seinen Becher und griff nach der Kanne.
»Du darfst bleiben?«, fragte Strell ungläubig.
Lodesh nickte. »Aber ich bin jetzt ein einfacher Bewahrer«, sagte er lächelnd, »dem nur eine bescheidene Zelle im Bewahrer-Flur zusteht. Bei den Wölfen!« Er knuffte Strell in die Schulter. »Gemächer im Turm!«
Strell betrachtete Alissa mit unverhohlener Sehnsucht. »Ich würde lieber bleiben, wo ich bin.«
Alissa funkelte Nutzlos mit gerunzelten Brauen an. Seine »Ehre« hatte Strell weiter von ihr entfernt und Lodesh dafür in ihre Nähe, nämlich in sein Zimmer im Bewahrer-Trakt, gebracht. Vertraute er ihr etwa nicht?
Nutzlos erhob sich und rückte von der Wolke männlichen Jubels ab, um Alissa einen Becher Tee zu bringen. Er ließ sich neben ihr niedersinken, ohne einen Tropfen zu verschütten. Das Lamm entwand sich ihr und trottete fröhlich zu Strell hinüber. Offensichtlich hatte er sich um den kleinen Widder gekümmert, während er dessen Mutter gut gewürzt hatte. Das Lamm sprang um seine Füße herum und stieß mit dem Kopf gegen seine Schienbeine. Kralle hüpfte auf den Boden, um auch ein wenig Aufmerksamkeit abzubekommen.
Alissa hob ihren Becher, und Lodeshs Tee rann in ihren Mund, ehe sie merkte, was sie da tat. Sie behielt ihn im Mund und überlegte, ob sie ihn wirklich herunterschlucken wollte, als sie plötzlich stutzte. Der Tee schmeckte gut. Richtig gut! »Der schmeckt ja!«, rief sie aus, was ihr einen verwunderten Blick von Nutzlos eintrug. »Nein, wirklich«, beteuerte sie. »Er ist gut.«
»Nun ja. Lodesh sagt, er hätte ihn gemacht.« Nutzlos machte es sich bequem. »Er hat schon immer hervorragenden Tee gekocht. Seit er zum Stadtvogt ernannt wurde.«
Fassungslos stellte Alissa den Becher ab und beäugte ihn wie eine giftige Schlange. Langsam hob sie ihn wieder zum Mund und kostete vorsichtig einen kleinen Schluck. Sie warf einen Blick zu Lodesh hinüber, und als er gerade nicht hinsah, überprüfte sie die Glasur des Bechers. Da war kein Fleck unter dem Henkel, wo er die Lasur vergessen hatte. Gar nichts. Sie hatte also noch etwas verändert, eine wertlose Kleinigkeit, aber niemand außer ihr wusste davon.
Nutzlos räusperte sich. »Dir ist doch klar, vor welchem Dilemma du jetzt stehst, oder?«
Alissa wandte sich ihm zu. »Welches Dilemma?«
Nutzlos trank einen maßvollen Schluck und wies mit einem Nicken auf Strell und Lodesh. »Sie sind nun von gleichem Stand.« Er lehnte sich recht selbstzufrieden zurück. »Du wirst wählen müssen.«
Ein Schauer überlief sie. »Aber Ihr seid nicht bereit,
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