Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Selbst wenn der Tiefländer starb, würde sie ihn immer noch lieben. Und sie mochte sich zwar dafür entscheiden, sich mit Lodesh zusammenzutun, vielleicht sogar seinen Namen annehmen, wenn sie gelernt hatte, mit ihrem Verlust zu leben – aber Lodesh wusste, dass sie an Strell denken würde, wenn sie so lächelte. Und so würde es immer sein, ob Alissa hundert Jahre alt wurde oder tausend.
Trauer erschütterte ihn. Blind taumelte er den Gang entlang. Er hatte sich ganz auf seinen Glauben verlassen, dass die Zeit für ihn arbeiten würde, und nun hatte er verloren. Endgültig verloren. Alles verloren.
Lodesh trat in die Kombüse, von der Sonne erhellt, in der Hayden geschäftig Frühstück machte. Connen-Neute und Silla saßen dicht beieinander an dem langen Tisch und sprachen lachend über Sillas Fortschritte im Fliegen und ihr unerwartetes Bad, als Kapitän Sholan sich geweigert hatte, das Stagsegel zu reffen, damit sie auf dem Schiff landen konnten.
Lodesh mied ihren Blick, zog sich an Deck zurück und kümmerte sich nicht darum, dass er unbehagliches Schweigen hinterlassen hatte. Die Sonne hatte den Nebel aufgelöst, und der Morgen war heiß. Sein Körper schrie danach, aus voller Kraft zu rennen, aber wohin? Talo-Toecan stand stumm am Steuer und beobachtete ihn. Alissa schlummerte im Bug. Strell saß noch immer schlafend am Mast.
Strell, dachte er und biss die Zähne zusammen, bis ihm der Kiefer schmerzte und das Blut in den Ohren rauschte.
Die plötzliche Stille, die er in der Schiffsküche hinterlassen hatte, schien ihn zu verhöhnen, und er ging langsam, aber sicher über das schräg geneigte Deck zu dem Tiefländer hinüber. Er würde sich einen Augenblick zu Strell setzen.
Lodesh war sich Talo-Toecans argwöhnischer Beobachtung sehr bewusst, als er sich neben Strell niederließ, als wolle er ein wenig plaudern. Der Mann wachte gar nicht auf, und Lodesh schnürte es die Brust zusammen, als er seinen belustigten, zufriedenen Gesichtsausdruck sah. Eifersucht ließ Lodesh die Schultern anziehen, bis sie schmerzten. Sie hätte mir gehören sollen!, dachte er verbittert. Er hatte so geduldig gewartet. Ihr Zeit gelassen, sich zu entscheiden. Er hatte alles richtig gemacht. Warum war sie dann nicht sein?
Mit einem Kloß in der Kehle starrte er den schlaksigen, einfachen Tiefländer an. Strell hatte gewonnen. Schmerz, Zorn und Boshaftigkeit wallten heiß in ihm auf und verstärkten sich gegenseitig, bis sein Kopf hämmerte. Er wollte Strell wehtun, wollte ihn den gleichen Schmerz fühlen lassen. Wie konnte sie nicht ihm gehören? Er hatte alles richtig gemacht. Wie konnte Strell einer Bestie beigebracht haben, was Liebe war?
Lodesh stockte der Atem, als er plötzlich begriff. Die Wölfe sollen mich jagen. Es war Liebe gewesen, dachte er, und er schloss die Augen, als das ganze Ausmaß seines Fehlers über ihn hereinbrach. Er hatte sich seine Frage selbst beantwortet. Strell hatte eine Bestie gelehrt, was Liebe war, weil er sowohl Alissa als auch Bestie liebte. Strell hatte selbst gesagt, dass sie für ihn ein und dieselbe waren. Er liebte sie beide – Lodesh jedoch liebte nur Alissa.
Lodesh stieß zittrig den Atem aus. Sein Drang, Strell zu bestrafen, verflog, und er empfand nur noch Leere. Sie stach und pochte in seiner Seele wie eine offene Wunde. Er konnte Strell nicht dafür hassen, dass er Alissa mehr liebte als er selbst. Er konnte sich nur selbst verfluchen.
Vor Qual ließ er den Kopf sinken, als er auf die kommenden Jahrhunderte vorausblickte. Er hatte dreimal versagt. Alissa würde ebenso verflucht sein wie er, gezwungen, hundert Lebensspannen lang die Liebe des Mannes zu vermissen, den sie begehrte.
»Es tut mir leid«, flüsterte er, und vor Trauer zog es ihm das Herz zusammen, als er an ihr schläfrig-weiches Lächeln dachte. »Ich wollte dich nur glücklich sehen.« Elend schloss er die Augen. Er hatte sie nur glücklich sehen wollen. Und bei diesem Gedanken wurde ihm alles klar.
»Mein Fluch«, hauchte er und fühlte sich, als werde er entzweigerissen. Er könnte Strell seinen Fluch geben. »Ja«, flüsterte er und hörte, wie rau und hässlich seine Stimme klang. Strell war ein Hirdun, ein Nachfahre der Kinder seiner Schwester. Er hatte Anspruch darauf. Und da Lodesh sicher war, dass die Feste Strell letztlich doch zum Stadtvogt ernennen würde, erschien ihm das nur passend.
Es lag eine perverse Genugtuung in dem Wissen, dass die Schuld dem Mann wehtun und alles, was er tat, mit einem
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