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Alissa 4 - Die letzte Wahrheit

Alissa 4 - Die letzte Wahrheit

Titel: Alissa 4 - Die letzte Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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ihn gebeten, bevor der Wahnsinn sie dazu getrieben hatte, ihre Kinder zu zerreißen und die Steine seiner verfluchten Mauer mit ihren abgetrennten Gliedern und Eingeweiden zu dekorieren.
    »Sitzt er schon die ganze Nacht da?«, fragte Talo-Toecan leise.
    Lodesh fuhr zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück. Er atmete tief durch und folgte dem Blick des Meisters zu Strells zusammengesunkener Gestalt.
    »Nein.« Seine tonlose Stimme überraschte ihn selbst. Talo-Toecan bemerkte es ebenfalls und zog die weißen Augenbrauen hoch. »Er war gerade lange genug hier, um Teewasser zu kochen«, fügte Lodesh hinzu.
    Talo-Toecan schnaubte ungläubig. »Alissa schläft noch bei Sonnenaufgang, und der Pfeifer ist wach?«
    »Nicht wach«, murmelte er und richtete den Blick wieder in den dünner werdenden Nebel. »Er schläft im Sitzen.«
    »Hm-m«, brummte der Meister.
    Sorge brannte sich durch Lodeshs Körper. Es konnte dem Pfeifer unmöglich gelungen sein, Bestie davon zu überzeugen, ihn Alissa berühren zu lassen. Sie war wild. Sie würde das niemals zulassen.
    Talo-Toecan brach sein Schweigen mit einem leisen Ächzen. »Lass mich das Rad übernehmen«, grummelte er, stand auf und griff danach. »Ehe der werte Kapitän mir die Heuer kürzt.«
    Lodesh ließ gedankenlos die Hände vom Steuer sinken. Er trat wie betäubt mehrere Schritte zurück, zögerte, murmelte dann »Tee« und ging unter Deck. Er ließ die letzte Stufe absichtlich aus, so dass sein Fuß hart auf die Planken knallte. Strells Wassertopf dampfte wie wild, und Lodesh zog ihn vom Feuer. Lustlos und rein gewohnheitsmäßig kochte er Tee.
    Der Tag um ihn herum wurde heller, während sich der Nebel lichtete und die duftenden Teeblätter zogen. Er tastete nach den Kerben, die Hayden in den Deckenbalken geschnitzt hatte, bis der belebende Duft des Tees ihn aus seiner Apathie weckte. »Tee«, flüsterte er entschlossen. »Alissa möchte sicher einen Becher Tee.« Plötzlich schadenfroh, weil er wach war und Strell noch schlief, beschloss er, Strells Vorhaben zu Ende zu bringen. Warum ging er auch gleich vom Schlimmsten aus? Strell war an Deck eingeschlafen, weil er eine Nacht lang vergeblich versucht hatte, Bestie davon zu überzeugen, dass er Alissa nichts tun wollte. Und Alissa würde zweifellos einen verständnisvollen Zuhörer schätzen, nach einer frustrierenden Nacht allein auf ihrer Seite des Lagers.
    Ja, dachte er. Er hatte alles perfekt geplant. Nichts hatte sich geändert.
    Lodeshs Füße zuckten in Erinnerung an ein Tanzlied, während er zwei dampfende Becher Tee einschenkte. Ohne Schwierigkeiten balancierte er die Bewegungen des Schiffes aus, als er den schmalen Gang entlangging, wobei er den vielen Päckchen ausweichen musste, die sie auf Wunsch der Meister mitgenommen hatten. Die Decke wurde immer niedriger, je näher er dem Bug kam. Ein wenig gebückt klopfte er mit dem Fuß an die Tür.
    »Alissa?«, rief er leise. »Ich bringe dir Tee.« Leichten Herzens wartete er, doch er hörte nichts.
    Er steckte einen Becher fest zwischen die Bündel neben der Tür und klopfte an, ehe er vorsichtig die Tür öffnete. Er schob den Kopf durch den schmalen Spalt und sah sie, eingerollt zwischen ihren Kissen und Decken. Sie schlief. Lächelnd stellte er ihre Becher so ab, dass nichts herausschwappen konnte. Lodesh freute sich darauf, sie sanft zu wecken, und trat näher. Langsam erlosch sein Lächeln.
    Alissas Haar lag über das Kissen ausgebreitet, so dass es ihr schwaches Lächeln nicht verbarg. Ein Arm war achtlos ausgestreckt, nackt bis zur Schulter. Sie schlief friedlich, zufrieden, und lächelte im Schlaf über eine Erinnerung, die er nie mit ihr teilen würde.
    Lodesh wurde eiskalt, als die Wahrheit plötzlich über ihn hereinbrach. Es schnürte ihm die Kehle zu, und er stand da wie erstarrt, unfähig, den Blick von ihrer anmutigen Schönheit abzuwenden. Der Pfeifer hat gewonnen, dachte er und war gleich darauf schockiert darüber, dass er so etwas auch nur denken konnte. Irgendwie hatte er sie gewonnen. Lodeshs Blick folgte dem bleichen, behaglich angewinkelten Arm bis zu dem kupfernen Ring, der lose an ihrem gebrochenen Finger saß. Die Frau eines anderen, dachte er, und seine Brust fühlte sich an wie eingeschnürt. Sie träumt von Strell. Dann stieß er den Atem aus und wich verzweifelt zur Tür zurück. Beinahe unbewusst schloss er sie hinter sich. Wie hatte er so blind sein können?
    Sie würde niemals seine Liebste sein, dachte er. Sie liebte Strell.

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