Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
um die Stadt nicht schlafen? Oder die Trauer um Alix?
Als sie hörte, dass ihre Schwester in Béziers ums Leben gekommen war, hatten die Ärzte ihr eine Dosis Theriak mit Mohnsaft verabreicht. Die „Himmelsarznei“ half immer, doch der einzige, der sie wirklich hätte trösten können, war mit sich selbst beschäftigt gewesen. Nun, sie musste Raymond-Roger Zeit geben – er hatte eben ein hitziges Gemüt. Sie würde sich bemühen, gut von ihm zu denken und auch ihrer armen Schwester verzeihen. Das hatte ihr der Hofkaplan geraten.
Inés stand auf, tastete sich im Dunkeln bis zur Truhe mit der Weißwäsche vor, wühlte nach einem Hemd, denn nackt und schweißgebadet wollte sie sich nicht ans Fenster stellen. Die Hitze, die seit Wochen über Carcassonne lag, war mindestens so drückend wie die Angst vor dem Kreuzfahrerheer. Das sagten alle in der Stadt. Als sie sich erfrischt und angezogen hatte, vernahm sie von draußen erneut Stimmen. Eilig trat ans Fenster.
Im Hof waren Fackeln aufgesetzt, Pferde wurden weggeführt. Sie erkannte Aaron am langen, schwarzen Rock. Und Raymond-Roger! Aber wen hielt er da eng umschlungen im Arm? Das war doch nicht möglich? Oder doch? Alix?
Heilige Jungfrau von den Tischen! Alix lebte! Ihre totgeglaubte Schwester war der Hölle von Béziers entronnen!
Inés bekreuzigte sich. „Oh, heilige Jungfrau, sei gepriesen auf ewig! Ich danke Dir!“, murmelte sie, da entdeckte sie auch Villaine. Wohlauf, wie man sah. Breitbeinig, noch steif vom Ritt, stand er neben den anderen, ein schweres Bündel auf dem Arm. Ein Bündel? Aber nein, das musste ein Kind sein. Dann hatten sie also Damian gefunden! Welch eine Freude!
Inés trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. Wollte Raymond ihre Schwester denn gar nicht mehr loslassen?! Doch, endlich. Aber halt, jetzt fasste er sie auch noch um ihre Taille, drehte und schwenkte sie vor ausgelassener Freude. Sie hörte die beiden lachen. Aber eigentlich war es kein Lachen, sondern eher ein ... Schluchzen und Lachen in einem?
Inés schluckte. Sie sollte gefestigt sein, über den Dingen stehen, doch bei aller Freude - dieser Anblick musste einem ja schier das Herz zerreißen! Was dachten die beiden sich bloß! Da schlief sie – die Herrin von Carcassonne - friedlich und nichtsahnend, während ihre ungestüme Schwester, kaum dass sie wieder hier war, mit Raymond ... Man konnte doch seiner Neigung widerstehen, wenn man es mit aller Kraft wollte. Oder etwa nicht? Schließlich hatte sie auch ihren dummen Schluckauf überwunden ... Sollte sie hinunterlaufen und dem Treiben eine Ende bereiten? Ihre Beine zitterten und ein dicker Kloß saß ihr in der Kehle, der Tränen versprach, dabei hätte sie doch allen Grund zur Freude gehabt, zum Lachen.
Plötzlich merkte sie, dass Villaine, der Spielmann, zu ihr heraufsah.
Inés fuhr sofort zurück. Ihr Herz klopfte bis zum Hals und das Unterkleid, das sie gerade erst angezogen hatte, klebte an ihrem Leib. Sollte sie ein frisches hervorkramen? Sie warf einen Blick auf den Stapel mit Wäsche, den sie vorhin in der Eile zum Einsturz gebracht hatte. Ein einziger unordentlicher Haufen. Wie ihr Leben.
Es klopfte. „Herrin, Eure Schwester ...“
„Ja, ja, Gaya, ich hab`s bereits erfahren“, sagte Inès mürrisch. „Lass mich in Ruhe und geh wieder ins Bett!“
Jeden Morgen nach dem Aufstehen warfen der Trencavel und die Seinen besorgte Blicke zum höhnischblauen Himmel hinauf. Wenn es nicht bald regnete, würden die Brunnen versiegen. Zwar gab es die Gänge, doch über sie konnten unmöglich Tausende von Menschen mit Wasser versorgt werden. Carcassonne war überfüllt: Schafhirten aus den Schwarzen Bergen waren gekommen, Weinbauern aus dem Lauragais, Kaufleute, Knechte, Mägde, gleich welchen Glaubens, alle suchten sie hier Schutz.
In der Nacht vertraute Bertrand von Saïssac seine Ängste Eleonore an.
„Meinst du, unser Neffe steht eine lange Belagerung durch? Er kommt mir verändert vor, seit Béziers. Er isst fast nichts, redet nicht mit mir, streicht düster und ruhelos durch die Gänge. Sonst war er immer so ungestüm.“
Eleonore setzte sich auf. „Was willst du! Soll er sich denn nicht um seine Stadt sorgen, nachdem Béziers nur noch ein Haufen Ruinen ist? Und war es nicht gerade sein Ungestüm, das dir graue Haare bescherte? Dass er klug ist, beweist sein Befehl, die Mühlen im Umland zerstören zu lassen. Du sagst es doch selbst, dem französischen Heer fehlt es an nichts - doch sicherlich bald an
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