Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Simorres Augen zornig. „Uns selbst schützen, Bruder? Verteidigen? Womöglich mit Waffengewalt? Eitler Tand und Truggebilde! Wisst ihr nicht, dass es zwei Kirchen gibt? Eine, die sich auf der Flucht befindet und vergibt - also die unsere - und die andere, die Fußfesseln anlegt und schindet. Lasst uns lieber darauf bauen, dass derjenige dem Himmel am nächsten ist, der sich am wenigsten um die Erde kümmert, denn den Kräften des Bösen kann nur der entsagen, der sich lossagt von allem Irdischen. Verzichtet lieber auf Gut und Geld, verschenkt eure Habe, euer Land, auf dass ihr würdig werdet der Mysterien des Lichts.“
Niemand wagte dem Bischof zu widersprechen, wenngleich einige ungeduldige Seufzer aus den Reihen der Vögte zu hören waren, und der alte Saïssac das noch immer vor ihm liegende Pergament von einer Seite zur anderen schob.
So ging man freundlich, aber uneins in der Sache auseinander. Der Trencavel jedoch, hatte für sich den Entschluss gefasst, nicht auf Simorre, sondern auf Esclarmondes Rat zu hören und sich auf den Ernstfall vorzubereiten, auch wenn die Mauern Carcassonnes die stärksten im ganzen Land waren.
22.
Der Vogel schreit zu spät, wenn er gefangen ist, dachte Alix entmutigt, nachdem ihr der Cahors erklärt hatte, weshalb gerade sie auserwählt und wie vergleichbar ihre Lage doch mit derjenigen der auserkorenen Jungfrau Maria sei - außer dass diese durch das Ohr empfangen hätte, wie die Kirchenväter meinten. Doch als er sie auf sein Lager zog, um seinen Sohn zu zeugen, schickte sie ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel. Inständig flehte sie, dass die Schwarze Jungfrau von den Tischen dafür Sorge tragen möchte, dass sie nur ja nicht empfing. Zwar würde die Geburt eines Sohnes ihre Freiheit nach sich ziehen, doch war dem Cahors zu trauen? Und was, wenn es eine Tochter wurde?
Völlig erschöpft vom „heiligen Zeugungsakt“, wie der Erzbischof sagte, war er kurz darauf eingeschlafen.
Alix wartete eine Weile, bis er gleichmäßig atmete, dann schlüpfte sie mit einer raschen und geschmeidigen Bewegung aus dem Bett und zog sich an. Klebrig spürte sie Bartomeus Samen die Beine hinabfließen, was sie jedoch erleichterte. Estrella hatte ihr geraten, entweder „danach“ eine Biene zu essen, wenn sie nicht empfangen wollte, oder sofort aus dem Bett zu steigen und sich tüchtig an der frischen Luft zu bewegen.
Im Gemach war es inzwischen eiskalt, denn das Fenster stand noch immer ein Stück offen und das Feuer im Kamin war erloschen. Tagsüber wärmte die Sonne bereits - Alix war schon zweimal auf dem Dach gewesen -, doch in den frühen Morgenstunden wie jetzt, lag draußen oft Raureif auf den Bäumen und Büschen. Bienen gab es noch keine …
Alix lief zum Fenster hin, ging dort zwanzigmal in die Hocke und wieder hoch, dehnte und streckte sich und wiederholte ihre Übung so lange, bis sie sich halbwegs sicher war, sich genug bewegt zu haben. Dann zog sie leise die Läden zu, damit der Cahors nicht vorzeitig erwachte und vielleicht ein weiteres Mal auf unselige Gedanken kam. Der Pelz lag am Boden. Er war ihr von den Schultern geglitten, als er sie ins Bett gezogen hatte. Sie hob ihn auf, legte ihn wieder um und strich dabei über den seidigen Flaum. Im letzten Winter trug die Mutter einen solchen, dabei galt sie als geizig. Ob der Pelz eine Leihgabe Seiner Bischöflichen Gnaden gewesen war? Zuerst die Mutter, dann die Tochter?
Vorsichtig nahm sie den Kandelaber auf. Nur noch zwei Kerzen brannten. Sie schlich mit dem Leuchter zur Tür und öffnete sie leise. Der Maure saß mit angezogenen Knien und fest in einen Umhang gewickelt am Boden und schlief. Das war bislang noch nie vorgekommen.
Alix lauschte ins Stiegenhaus hinaus … Da waren Schritte, die sich entfernten, Stimmen, die leiser, dann lauter wurden. Etwas klapperte. Es roch nach Kohl und Urin.
Der Vogel schreit zu spät, wenn er gefangen ist - und nutzt für gewöhnlich die erstbeste Gelegenheit, bei offenem Gatter davonzufliegen. War sie da, die Gelegenheit?
Doch ohne Estrellas Gold, das sich oben in der Truhe befand, würde sie nicht weit kommen. Und was, wenn es sich um eine Falle handelte? Was, wenn Bartomeu von Cahors auch ihre Treue auf die Probe und Rashid sich nur schlafend stellte?
Leise zog Alix die Tür wieder zu. Was sollte sie tun? Eine ganze Weile beobachtete sie den schlafenden Erzbischof. Seine Atemzüge waren tief und regelmäßig. Erneut war er in ihrer Hand. Doch das Hochgefühl, Macht über
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