Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Des Weiteren befände sich dort eine Beobachtungsstation der Ritter des Salomonischen Tempels, die streng die Zufahrtswege zum Berg kontrollierten. Sie gelte es zu meiden ...
Nächtliche Spiegelungen? Tempelritter, die einen Berg bewachten?
Einige Seiten weiter entdeckte Alix die Zeichnung: Ein dünnes, vergilbtes, bereits brüchiges Fetzchen Pergament.
Inzwischen flackerte nur noch eine Kerze. Im verbliebenen schwachen Licht fand Alix zu ihrer Überraschung die Stadt Carcassonne eingezeichnet, und zwar in einen sonderbar ineinander verschlungenen sechseckigen Stern. Südlich von Carcassonne war ein weiterer Ort, Reda , ebenfalls von einem solchen Stern umgeben. In der Nähe zwei Berge. Der eine trug den Namen Bézu , daneben befand sich ein Tatzenkreuz - wohl der Beobachtungsposten der Tempelritter. Über dem zweiten, größeren Berg stand „Adlernest!“. Lag der Zugang zur Goldader unter einem Nest? Lächerlich!
Doch plötzlich durchfuhr es Alix heiß und kalt zugleich. Handelte es sich bei diesen Ländereien nicht um diejenigen des Vizegrafen von Carcassonne? Das musste Inés erfahren, doch wie?
Sorgfältig steckte sie beide Pergamente an Ort und Stelle zurück.
Mit einem letzten forschenden Blick auf den Schlafenden blies sie den kümmerlichen Rest der Kerze aus, tappte, mit dem Leuchter in der Hand, im Dunkeln zur Fensternische zurück. Dort stellte sie ihn ab; steckte, obwohl sie gar nicht hungrig war, die Pasteten in die Tasche ihres Gewandes, huschte aus dem Zimmer, schlich auf Zehenspitzen am noch immer schlafenden Rashid vorbei.
Dann holte sie tief Luft, rannte die Wendeltreppe hinunter und in die große dunkle Eingangshalle. Als sie zum Vorraum mit dem aufgeschüttetem Stroh und den Waffen an den Wänden kam, sprangen ihr die Hunde entgegen. Rasch warf sie ihnen die Pasteten hin.
Am Ausgang entdeckte sie zu ihrer größten Verblüffung, dass die hohe und breite Tür des Turmes weit offen stand.
23.
Die Kuppeln der großen Kathedrale glitzerten im Morgentau. Weniger vor Kälte als vor Angst zitternd, kauerte Alix unter der schmalen, halb zusammengebrochenen Holzbrücke, die einst einen Seitenarm des Lot überspannte.
Sie konnte es kaum fassen. Nun hatte sie auch die zweite Hürde überwunden und die Wachen an der Barbakane getäuscht. Nun ja, ganz so einfach war es nicht gewesen. Der wertvolle Pelz, mit dem sie eine der Wäscherinnen auf dem Weg zum Fluss bestach, um ihre Stelle einzunehmen, war verloren. Aber sie hatte das elende Hurenfell sowieso nicht behalten wollen! Der schwere Korb mit der schmutzigen Wäsche, den sie bis hierher geschleppt hatte, stand, wie ausgemacht, hinter der vierten Weide am Ufer des Flussarmes, der, wie Alix erst jetzt bemerkte, auf raffinierte Weise durch die äußeren Befestigungswälle hierher geleitet wurde. Alix spürte, wie die Waschfrauen, die mit vom kalten Wasser krebsroten Händen riesige Laken auswrangen, sie beobachteten.
Wie sollte es jetzt weitergehen? Sie war frei, befand sich aber noch immer innerhalb der Stadtmauern. Das Sicherste wäre, überlegte sie, sich einer Reisegruppe anzuschließen, gleich wohin diese zog. Doch würde sie ohne Geld dort Aufnahme finden und - das Wichtigste! - an der großen Stadtwache vorbeikommen, die jedermann, der ein- oder ausreisen wollte, genauestens überprüfte? Auch war davon auszugehen, dass Rashid in Kürze Alarm schlug und sowohl im Turm, als auch außerhalb nach ihr suchen ließ.
Ein kräftiger Windstoß trieb ihr Staub ins Gesicht. Alix rieb sich die Augen. Nachdem das erste Hochgefühl abgeflaut war, fühlte sie sich nur noch müde, erschöpft und hungrig. Obendrein roch es brackig hier. Sie hielt sich die Nase zu und warf einen weiteren Blick auf die Waschfrauen, die sie noch immer misstrauisch beäugten. War sie verrückt geworden? Da schmiedete sie Woche um Woche irgendwelche Pläne für ihre Flucht, und nun saß sie hier am Fluss, ohne Geld und Brot, geschweige denn einem Menschen, der ihr half.
Niemand kann seinem Schicksal entgehen … Wieso fiel ihr gerade jetzt der Vater ein?
Wie unter Zwang tastete sie nach dem goldenen Rad um ihren Hals, das sie in all den Monaten in Cahors kaum abgelegt hatte. Und wenn sie es opferte?
Der Anhänger war wertvoll. Zwei gleichgroße Smaragde bildeten die Nabe. Sie brauchte Geld und spätestens bei Einbruch der Dunkelheit ein Quartier. Am besten wäre sie unter Pilgern aufgehoben, dachte Alix. Schloss sie sich irgendwelchen zwielichtigen Gestalten, Gauklern oder
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