Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Zaubernuss. Dass sie irgendwann ein besonders hässliches Ferkel heimlich „Cahors“ nannte - den Bischof hatte sie vom ersten Tag seines Erscheinens in Montpellier nicht leiden können -, war ihr nun zum Schicksal geworden.
An jenem Tag also, an dem Alix dem Regen trotzte, hatte es das Pech gewollt, dass ihr nach kurzer Zeit schon der lederne Riemen an der linken Trippe riss. Sie stolperte, rutschte aus der Sohle, ruderte heftig mit den Armen - und landete dennoch mit dem Gesicht voran im Dreck. Jede andere Zehnjährige hätte geheult, nicht Alix. Sie rappelte sich hoch, wischte den gröbsten Schmutz von sich, band nun auch den rechten Unterschuh los und warf beide Trippen entrüstet der aufgeregt quiekenden Schweineschar hinterher. Dann schlich sie sich, schmutzig wie sie war, die Treppe zur Burg hinauf, überall dicke Dreckbatzen hinterlassend.
Inés schmunzelte. Sie erinnerte sich an den Vorfall, der lange für Gesprächsstoff gesorgt hatte im Turm zu Montpellier, als wäre er gestern gewesen:
In der Vorhalle waren die Eltern gestanden, im Gespräch mit einem Ritter aus der näheren Umgebung, der wegen der nächsten Jagd vorsprach. Als Doña Agnès die komische Gestalt sah, hinter der sich ihre Älteste verbarg, stieß sie einen derart lauten Schrei aus, dass Estrella, Honoria, das Gesinde, ja selbst Pater Nicolas herbeieilten, um wie die Herrin selbst, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Wilhelm von Montpellier jedoch, dem es nur für einen kurzen Augenblick die Sprache verschlagen hatte, lachte lauthals los. Der Ritter tat es ihm gleich, und bald, weil Lachen oft ansteckend ist, klopften sich die Männer auf die Schenkel vor Vergnügen und die Frauen hielten sich die Bäuche.
Alix jedoch, war mit hocherhobenen, wenn auch schmutzverkrusteten Brauen scheinbar unbeeindruckt unter ihnen gestanden, so stolz wie ihre heißgeliebte Königin Brunichilde.
Die Augen zu Schlitzen verengt, wartete sie, bis sich alles beruhigt hatte, dann schnalzte sie mit der Zunge, hob die Hand und zitierte schlicht Plutarch, aus dessen Lebensbeschreibungen sie damals dem Vater vorlas: „Vor seinem Tode, sagt Solon, ist niemand glücklich zu schätzen …“, was einen erneuten Heiterkeitsausbruch des Vaters auslöste, ja, Pater Nicolas hatte ihn sogar auf dem Sterbebett diese Geschichte noch einmal erzählen hören.
25.
Alix erfasste ein Schwindel, als Rashid breitbeinig, die Hand am Schwert, unter der Eingangstür des Goldhändlerladens stand. Er hatte den Pelz bei sich, den sie der Waschfrau gegeben hatte. Jetzt ist alles aus, dachte sie – für immer zu Ende. Es ist mein Schicksal, nicht von Bartomeu loszukommen.
„Glotz mich nicht so furchtsam an, Jud!“, hörte sie wie durch eine Bretterwand hindurch den Mauren im Zustand größter Gereiztheit sagen. „Ist dir die Herrin etwas schuldig?“
Der Goldhändler, bleich vor Schreck, wie auch seine Tochter, schüttelte nur in stummer Verzweiflung den Kopf ...
Mordechai Löw steckte in einem riesigen Schlamassel, zumindest bildete er es sich ein. Seit der Eselsmesse kannte die halbe Stadt die neue Hure des Erzbischofs, nur er hatte sie nicht gekannt. Nur er, der unglückliche Jude Löw nicht! Zwar galt er als rechtschaffener Bürger, doch ein Zusammenstoß mit dem Fürsten konnte nur Unheil nach sich ziehen. Nach Meinung sämtlicher Juden der Stadt, war der Erzbischof nämlich mit „Haman“ zu vergleichen, jenem Unhold aus dem Alten Testament, der sein armes Volk hatte ausrotten wollen - und dessen „Ohren“ seine Tochter gerade ...
„Oj, oj“, jammerte Löw - doch nur die Lippen bewegten sich. Und er sah sich bereits als Leiche im Fluss Lot liegen, die Tochter geschändet. „Oj, oj“ – flüsterte er, verdrehte die Augen himmelwärts und erstarrte ...
„Vater, kommt zu Euch! Die Kette!“ Esters Stimme brachte den Alten wieder zur Besinnung. Die Tochter deutete auf seine zitternde Hand mit dem schwarzen Tuch, auf dem das Schicksalsrad lag. „So gebt den Schmuck zurück!“
Nun kam Leben in Mordechai. Er entschuldigte sich gleich mehrmals beim „ehrwürdigen Herrn Mauren“ für ein Missverständnis, das gar keines war. Doch als er Alix das Schicksalsrad aushändigen wollte, wanderte dieses in die Brusttasche seines mächtigen Gegenübers.
Alix fehlten selbst die Worte für einen Protest. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihre Wangen brannten. War es wirklich ihre Bestimmung, dem Cahors einen Sohn zu gebären?
„Jetzt folgt mir und macht kein
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