Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
murmelte Zahlen, kratzte mit der Feder über ein Pergament.
Alix, erleichtert, dass Meister Löw verständlich sprach, schloss die Tür hinter sich und sah sich um. Auf dem Arbeitstisch standen eine Goldwaage und ein Pack Gewichte. Ein gezaddelter Hut, wie ihn zu tragen für diese Leute Vorschrift war, hing an einem Haken an der Wand. Die linke Seite des Raumes zierte ein langes Brett auf Schragen, worauf sich etliche Kästen mit Ringen, Perlen und Korallenstücken befanden. Schmuck! Zumindest war sie hier richtig. Auf dem Regal oberhalb weitere Kostbarkeiten: Silberne und goldene Kannen, Becher, Deckelpokale.
Alix trat von einem Bein auf das andere. Die Zeit verrann wie der Sand, mit dem man sie maß. Sie hatte es doch eilig!
Ein Vorhang bewegte sich, und eine junge Frau mit blau-weiß-gestreiftem Judenschleier trat ein, in den Händen einen Teller, auf dem sich kleine dreieckige Kuchen auftürmten.
Die Jüdin zögerte, betrachtete Alix neugierig.
„Der Vater ist gleich fertig“, sagte sie freundlich, dann reichte sie mit einer entschlossenen Geste Alix den Teller hin. „Hamans Ohren“, meinte sie verschmitzt, wobei auf ihren Wangen zwei lustige Grübchen erschienen.
Hamans Ohren? Alix zierte sich nicht lange. Sie griff zu, dankte.
„Ich bin Esther“, stellte sich die Jüdin vor, nun selbst kauend. „Und Ihr? Ihr seid wohl nicht von hier, oder?“
Alix schüttelte den Kopf. „Ich bin fremd. Es geht um ein Schmuckstück, das ich verkaufen will.“ Mit diesen Worten nestelte sie das Schicksalsrad aus dem Ausschnitt ihres Gewandes, streifte die Kette über den Kopf. „Was könnt Ihr mir dafür geben, Meister Löw?“
Der Jude, der inzwischen herangetreten war, spitzte den Mund, hob die Brauen. Ein wenig umständlich zog er aus einer Tasche seines Überwurfes ein Stück dunklen Samt, worauf er das Schicksalsrad legte. Dann trat er mit dem Schmuck vor die Tür, um es bei Tageslicht zu begutachten.
„So greift noch zu“, forderte Esther Alix ein weiteres Mal auf. Ihre mandelförmigen braunen Augen blitzten nur so von Schalk. „Nur, erzählt es nicht weiter, die Ohren sind für unser Purimfest bestimmt. Doch frisch gebacken schmecken sie immer am besten!“
Mit diesen Worten steckte sie sich selbst noch eines in den Mund.
Alix ließ sich nicht zweimal bitten. Die beiden Frauen kauten mit vollen Backen, als sie sich umdrehten, um nach Mordechai Löw zu sehen. Doch dann blieb ihnen vor Schreck der Bissen im Halse stecken.
„Oj weij!“, stieß Esther hervor.
24.
Der alte Saïssac, die Stirn gefurcht, bemühte sich um Gelassenheit.
„Bei allem Verständnis“, sagte er zu seinem Neffen, nachdem er ihm ein Stück in den Wald hinein gefolgt war, „doch Ihr dürft Euch nicht mit dem Erzbischof von Cahors anlegen. Wir haben wirklich genügend eigene Sorgen. Ruft die Spielleute zurück, bevor ein Unheil geschieht. Schickt ihnen einen schnellen Reiter hinterher!“
Der Trencavel band die Windhunde an eine Eiche. Die Tiere zerrten und winselten, obwohl die Treibjagd längst zu Ende war. „Weshalb so zimperlich, Oheim?“, gab er zur Antwort. „Dass ich Villaine nach Cahors geschickt habe, bedeutet nicht, dass ich es an kühler Vernunft habe mangeln lassen. Immerhin handelt es sich um die Frau, die mir versprochen war, mir - dem Vizegrafen von Carcassonne! Bartomeu von Cahors hat sie mir vorenthalten. Auch ein Mann Gottes kann nicht straflos tun, was ihm beliebt. Ich habe also jedes Recht, so zu handeln, wie ich handle, von der Christenpflicht, meiner Schwägerin zur Freiheit zu verhelfen, ganz abgesehen.“
„Aber Bartomeu ist der Fürst der Finsternis!“, warnte Saïssac auf Katharerart. „Er wird uns alle ins Unglück stürzen!“
„Das ist er nicht, Oheim, nur reich und anmaßend. Und habt Ihr mich nicht auch gelehrt, dass die Ehre ein Zustand unverletzter Würde ist?“
Auf der Wiese unter ihnen heulte das Rudel der Hetzhunde. Ruhelos strichen sie auf der dem Wald zugewandten Seite des Flechtzauns auf und ab. Die Meute vertrug sich nicht mit den edlen Tieren aus Aragón, aber sie ließ sie auch nicht aus den Augen.
Drei Rehe, ein stattlicher Hirsch und zwei Wildschweine waren die Ausbeute des Morgens gewesen. Die gut zwanzig Jagdteilnehmer, in der Mehrheit Vögte und Ritter des Vizegrafen, saßen ein Stück abseits der eingezäunten Wiese, am Waldrand, auf übereinander gestapelten Baumstämmen, um auf die Lebern zu warten, die Jagdknechte an langen Stecken über dem Feuer brieten.
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