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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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mehr, aber ich wollte nicht aufgeben. Ich scharrte im Sand herum und versuchte mich zu erinnern. Und dann passierte es. Zuerst schien es von außen zu kommen, und ich wollte es nicht, es schwängerte die Luft mit Gift. Es war gegen mich. Aber dann fühlte ich ihn, diesen Willen. Ich hörte ihn fast zu mir sprechen. Wie ein Versucher, der sagt: Ich hole dich herein in die Stadt. Ich bringe dir Vergessen. Du hast freien Abzug aus dem Schmerz – für nur eine Gegenleistung. Ich gab sie ihm, und er versenkte sie 2000 Faden tief.“
    „Leda“, sagte Pjotr, „war die Stadt.“
    „Wie muß ich ihr den Schneid abgekauft haben… sie hat immer nur gesehen, daß ich da draußen Beute dieser phantastischen, idiotischen Romanzen wurde, dabei war ich mitten im Nirgendwo. Aber ich mache einen Menschen wegen eines anderen unglücklich und den anderen wegen des einen. So geht die Geschichte. So steht’s in Gottes kleinem Schmierheft. Er schwebt gerade vor dem Fenster da und lacht.“
    „Wer, Gott?“
    „Wer mich will, bekommt tonnenweise Kummer, das steht da drin. Verdammt. Ich habe all diese Tränen gesehen, aber hätte ich denn jemanden in wirkliches Elend stürzen können? Die Wahrheit ist, jedes Leben ging ganz einfach weiter ohne mich. Ich bin überall verklungen wie Musik. Herr Jesus, wenn ich nur manchmal eine schöne Melodie gewesen bin – aber ein unheilbarer Schmerz, ich? Bin ich denn je so tief gedrungen in ein Herz?“
    „Und Tatjana?“ fragte Pjotr.
    Ihr Gesicht für alle Zeit umgeben von Eisglitzern und Schneegestöber. Für alle Zeit ihre geschlossenen Augen, ihr nasses Gesicht unter einer Straßenlaterne im Sprühregen, ihre Lippen noch im Schein des ersten Kusses. Einen Winter lang hatten Tatjana und Aljoscha zusammengehört auf dieser Erde; eine frühe Weltumsegelung lang.
    Tatjana war erst 16 und Aljoscha war erst 18, und sie gaben sich ihr Wort unter einem verschneiten Baum, als der Mond aufging über den surrealen Eiskanälen und die Vorhänge sich bewegten im Haus von Tatjanas Eltern und in der ganzen Straße. Sie war erst 16, und doch war ihr Wesen schon viel zu seltsam für das Dorf, in dem sie wohnte. Vielleicht war es der Kontrast zwischen ihrem elektrisch aufgeladenen Geist mit seinen merkwürdigen Ideen und der nachtwandlerischen Indolenz ihrer Bewegungen. Die Fähigkeit, dem anderen bezaubert zu folgen, immer tiefer in das Labyrinth eines Tages hinein, bis man den Minotaurus schnauben hört, das war, was ihren Winter so verwunschen machte, und sie hatten jeden Tag drei Wünsche frei. Der Zorn vor jeder Tür, hinter der er sich mit Tatjana einschloß – ihr Vater war drauf und dran, Aljoscha zum Duell zu fordern –, schien die Bedeutung ihres Treueschwurs noch zu vertiefen. Aber als das Tauwetter einsetzte, war alles verändert. Warum, hatten weder Tatjana noch Aljoscha damals ganz verstanden. Eines Morgens schreckten alle Glöckner aus dem Schlaf, sahen auf die Uhr und sagten sich: „Wie – jetzt ? Das kann nicht sein,es muß ein Irrtum sein“, und das Ereignis, das sie aus dem Schlummer fahren ließ, blieb für immer unbekannt.
    Es schien, als hätte der glitzernde Schnee das Geheimnis geborgen. Es schien, als würde Aljoscha Tatjana zurücklassen. Am Ende aber würde es immer Aljoscha sein, der zurückblieb, den Sternenhimmel aufgespannt und glattgestrichen.
    „Tatjana…“ – Aljoscha ging mit Siebenmeilenstiefeln zurück aus diesen drei Silben. „Ja, vielleicht, daß ich noch in ihrem Herzen bin… manchmal.“
    „Zweifle daran nicht.“
    „Wir waren wie die Königskinder, die nicht zusammenkommen, weißt du? Zu jung.“
    „Hast du geglaubt, dich Leda zu schulden?“
    „Leda jedenfalls schuldete mir nichts. Ich hatte gefälligst zu lernen, daß Dinge eben passieren. Ich sagte, aha, naja, Dinge passieren wohl. Und keine Sorge, der mächtige Wille fügt auch das ins Bild, das sind nur ein paar Winkelzüge, Kniffe der leichtesten Sorte. Aber ich war es immer, den man achtlos nannte – einfach phantastisch. Besser, wir schließen das Fenster, sonst landet Schuld im Zimmer. Gott weiß, daß ich die schöne Furie bei mir aufnehme. Gott lacht sich rammdösig und brüllt: Dinge passieren eben …“
    „Was soll denn schön sein an der Furie?“
    „Hast du nicht gehört? Die Schuld ist golden.“
    „Ist das von Shakespeare?“
    „Nein, von Siouxsie.“
    „Gewisse Leute meinen ja, Schuld ist eine omnipräsente Energieform, die durch alle Zeiten wabert.“
    „Ein Fluß, aus dem

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