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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Wille und ich, das sind nämlich zwei.“
    „Tja, was wissen wir schon vom Willen? Ich weiß nicht mal, ob er morgens um halb acht mit mir zusammen aufsteht, oder ob er später nachkommt.“
    „Er kann alles, was dein Wesen ausmacht, hinter sich lassen. Er kann dich dahin führen, wo du niemals hin wolltest. Er spürt Dinge für dich auf, die du nie gesucht hast.“
    „Vielleicht ist er nur cleverer als das, was du das Wesen nennst.“
    „Ich weiß nicht mal, ob es ein Wesen gibt.“
    „Dann kann der Wille nichts wollen, das ihm fremd ist.“
    „Ihm nicht, aber mir.“
    „Der Wille und die eigene Entscheidung, das sind nicht zwei.“
    „Manchmal doch. Wille kann die Fähigkeit sein, gegen den eigenen Willen zu handeln.“
    „Und wie viele Willen zählst du da?“
    „Zu viele.“
    „Aber dein Wille kann nur Ziele haben, die für dich bedeutsam sind. Was immer du willst, es hat einen Wert für dich.“
    „Was immer du zu einem Wert gemacht hast, der Wille kann es wollen. Der Wille, das ist… ein Gedanke, irgendeiner, der es geschafft hat, deine ganzen Systeme so einzustellen, daß sie mit Zusammenbruch drohen, wenn du diesem Gedanken nicht ins Dasein hilfst. Bloßer, reiner Wille… wenn er eine Form hätte, dieser Wille, der manchmal durchs Leben pflügt, dann müßte er von furchterregender gleißender Gewalt sein. Knirschend wie Packeis. Gleichgültig wie Schwermetall. Makellos. Imstande, gegen alles anzurücken, was ihm widerspricht. Ein weißes Monster. Ich dachte, es käme nur darauf an, seinem Willen einen Inhalt zu geben. Ich glaubte, wenn man sich im eigenen Willen nicht mehr erkennt, ist alles verscherzt.“
    „Das stimmt doch auch.“
    „Aber es kommt vor, daß dieser Wille sich auf eine Möglichkeit stürzt, eine besondere, ganz bestimmte Möglichkeit, weil… weil du nicht weiter weißt. Du läßt es zu, weil all deine Träume zerschlagen sind. Du sagst dir, Schluß jetzt, ich will jetzt wollen. Du machst dich eins mit diesem Willen – bis du eben willst, daß es die einzige Möglichkeit ist. Bis du glaubst, daß die Engel mit den Tafeln der Jahrtausende dabeistehen und nicken. Aber es war nie die einzige Möglichkeit. Und plötzlich, eines Tages, suchst du die fehlende Notwendigkeit in dem, was dieser Wille wollte.“
    Winterstille kroch durchs Fenster. Stille, bei der man sich fragt, was an anderen Orten vorgeht. Bei der man an kleine Tiere denkt, die im Wald sitzen und schnuppern und stutzen. Oder man stellt sich vor, wie diese Stille in einen anderen Raum eindringt und dort dasselbe bewirkt wie hier: Lauschen in die Ferne, Gedankenwandern über die Distanz.
    „Wenn du willst, daß dein Wille dir eine Welt erbaut“, sagte Aljoscha, „wird er es tun. Wenn du willst, daß dein Wille dir einen bestimmtenCharakter gibt, wird er ihn für dich erschaffen. Wenn du willst, daß er deine Sprache und deine Gedanken beherrscht und deine Träume für dich deutet – er wird es tun. Allerdings mußt du wollen, so einen Willen zu haben.“
    Dicht hinter dem Vorhang war das Lachen zu hören. Als würde jemand vor dem Fenster schweben.
    „Darum ist er nur fast allmächtig, dieser Wille. Er wird aufrechterhalten. Das ist seine Schwäche.“
    Gott, womöglich. Gott lacht gern zur falschen Zeit.
    „Schön“, sagte Pjotr, „aber wenn dieser Wille meine ganze Natur übernommen hat, sind die Chancen wohl nicht schlecht, daß er mit dieser Schwäche durchkommt.“
    „Er kann zusammenbrechen. Und wenn er zusammenbricht, bricht alles zusammen. Der erschaffene Charakter, alles.“
    „Aber was läßt ihn zusammenbrechen?“
    „Das, was du warst, bevor du ihn beschworen hast. Oder das, was du sein wirst, nachdem er in sich zusammengefallen ist.“
    „Aljoscha, du bist ein geborener Verwirrer.“
    Haha, lachte Gott. Solche Leute suchen sie auf der Seite Kains. Aber der Teufel verlangt jetzt Referenzen, hörte ich. Haha! lachte Gott. Haha.
    „Ich war müde genug für hundert Jahre Schlaf. Damals, als dieser Wille kam.“ Aljoscha sah zu, wie eine Kerzenflamme um ihr Leben kämpfte. In der Dunkelheit wird die Decke immer höher, sagen die Japaner. „Ich lag außerhalb der Stadtmauer und sah die Lichter. Die warmen Lichter der Stadt. Ich hatte irgendwas gesucht da draußen. Etwas, das genug Macht über mich hätte, um – ach, ich wußte schon nicht mehr, was es war. Aber ich mußte da draußen bleiben wie ein irrer Bettler. Eine Stimme in mir sagte: bleib von diesen Lichtern weg. Da draußen war nichts

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