Aljoscha der Idiot
weiß auch nicht… deine Catherine ist schon da“, sagte Pjotr.
„Wer? Was ? Bist du sicher? Wieso denn? Ich meine, woher weißt du, wer sie ist?“
Aljoscha sprach so laut, daß selbst ein schwerhöriger Gegenspion sie jetzt entlarvt hätte. Natürlich hatte er Pjotr IHR Äußeres beschrieben, aber nicht mit steckbrieflicher Genauigkeit. Wenn es sich nicht so verhielt, daß SIE um den geheimen Plan wußte und dieses Wissen Pjotr im Vorübergehen durch einen kurzen telepathischen Stromstoß oder einen chemophysikalischen Impuls übermittelt hatte, wie verhielt es sich dann?
Und warum Catherine ?
„Wo ist sie jetzt?“
„Na, drinnen.“
„Wo drinnen?“
„Hör mal, der Plan war – “
„Vergiß es.“
Aljoscha schlich zur Tür und spähte vorsichtig in den Saal. Unwandelbar wie das Göttliche saß SIE, wo SIE immer saß, einen Teil seiner Vergangenheit einnehmend.
„Sie sitzt gleich hier oben, auf der rechten Seite“, stellte Aljoscha fest. „Zweite Reihe, dritter Platz von links. Ich habe da einmal gesessen, und sie vervielfältigt das irgendwie.“
Pjotr nickte. „Du mußt ganz nach unten, richtig?“
„Ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber ich muß.“
„Ich könnte ja versuchen, in ihrer Nähe zu bleiben“, sagte Pjotr. Dieser Einzigartige! Dieser Achilles! Wie sagt Majakowski in Tagesbefehl Nr. 2 an die Kunstarmee: „Macht Schluß! Vergeßt! Pfeift drauf!“ – Zu spät. Sie atmeten beide tief durch. „Die Götter mit dir, Bruder.“ Aljoscha zog in den Hörsaal ein.
Auf dem Treppenlauf tat er so, als prüfe er nur flüchtig, ob SIE da sei. Zu ebener Erde jedoch, als er einen Umweg durch die Frontreihe machte, sah Aljoscha IHR fest in die Augen, und SIE erwiderte seinen Blick ebenso bestimmt. IHRE Augen blitzten wie vor einem magischen Zweikampf. Und wirklich, als hätte SIE beschlossen, trotz durchschauter Verschwörung den Verschwörern eine Chance zu geben, war der Platz rechts neben IHR noch frei, wie durch einen Bann geschützt. SIE war so schön und kühl, daß kein Mensch es wagen durfte, in IHRE Sphäre einzudringen. Wer es doch tat, war entweder ein völlig unzurechnungsfähigerGimpel oder von vornherein IHR Diener und Vertrauter. Oder ein Satanskerl von einem Kundschafter: als Aljoscha sich zum dritten Male nach der Saaluhr umdrehte, sah er, wie Pjotr im Begriffe stand, sich mit seinem Pappkoffer zu besagtem Platz durchzukämpfen. Donnerwetter, mögen wir alle errettet und in Sicherheit sein! Um Punkt 10 Uhr 15 saß Pjotr Semjonow neben der mysteriösen Katzenfrau.
Jemand löschte – aber nein, niemand löschte das Licht! Verdammte Falle! Jerdzny, der ausgekochte Unterhändler! Hinterlistig lächelnd verzichtete er auf die Vorführung von Bildmaterial und hielt statt dessen einen gnadenlos abstrakten Vortrag, der auf so spektakuläre Weise banal war, daß man es nur als raffinierten Schabernack auffassen konnte. Eine geständnisfordernde Stunde lang waren alle Scheinwerfer auf das Komplott gerichtet. Wenn alle Zeiten Farben hatten, war diese Stunde von glühendem Rot. Lava-Rot, Magma-Rot, Rot der schmelzenden Beschämung.
Planmäßig trafen sie sich erst auf der Allee wieder, und Pjotr sah ein wenig mitgenommen aus.
„Herrje – für sowas bin ich nicht geschaffen.“
„Das war wunderbar von dir“, sagte Aljoscha.
Sie gingen zur Damtorsk-Station und bestellten in der Bahnhofsschenke etwas, das man im Stehen trank. Langsam wich Pjotrs Anspannung einer sonderbaren Melancholie.
„Also, das Datum schrieb sie auf Französisch“, sagte er.
„Auf Französisch ?“
„Ja, sie schrieb auf ihr Papier: Décembre 9.“
„Ist das möglich… sie schreibt alles auf Französisch?“
„Nein, nein, nein – nur das Datum. Aber sie schreibt offenbar gern in anderen Sprachen. Einiges schrieb sie auf Latein, und manche Worte sagten mir überhaupt nichts.“
„Was? Was schrieb sie auf Latein?“
„Vielleicht war es auch gar nicht Latein, sondern ihre eigene Sprache. Oder irgendeine verschwundene Sprache.“
„Oder Serbisch?“
„Wie soll ich das wissen?“
„Schon gut…“
„Ihre Schrift ist äußerst akkurat, sie schreibt mit einem nadelfein gespitzten Bleistift. Eine feminine Schrift, aber nicht unnötig verschnörkelt.Hast du einen Stift?“ – Pjotr zeichnete auf, wie SIE den Buchstaben B schrieb.
„Wieso um alles in der Welt hast du vorhin im Korridor zu mir gesagt: deine Catherine ist schon da –?“
„Hm… wahrscheinlich, weil ich mit dem
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