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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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illusionistischen Konstellation; sie schauten sich in die Augen, wenn er seinerseits den Blick IHRES Spiegelbilds suchte. Mensch und Spiegelbild ließen sich nicht aus den Augen, beide stumm die Existenz des anderen fixierend, mit einem X den Vertrag zwischen dem Imaginären und dem Wirklichen unterzeichnend.
    Seit Monaten lebten sie unentdeckt unter den Menschen und vollführten ihre Rituale im Verborgenen. Hüte dich vor der namenlosen Leidenschaft. Vielmehr, hüte dich nicht. Vielmehr, die Wahl liegt nicht bei dir. IHRE Schönheit war eine Schönheit, die ahnen ließ, daß alle Ahnungen als Ahnungen noch versagten. Aber SIE schien ungnädig, abweisender als sonst… tatsächlich lag auf IHREM Antlitz eine leidenschaftliche, geradezu mythologische Kälte… als zürnte SIE darüber, nicht verstanden zu werden… oder tat SIE jetzt IHR Mißfallen kund über den Affront, daß er einen Späher ausgesandt hatte? Wahrhaftig, SIE wirkte frostklirrend unversöhnlich. Hätte man SIE jetzt in die Hölle gebracht, die Hölle wäre überfroren.
    SIE würdigte ihn keines Blickes mehr, bis SIE ausstieg, keines wirklichen Blickes mehr, bis SIE einfach ausstieg, wie an jedem Dienstag. Und für den kommenden Dienstag war die Poussin-Vorlesung bereits abgesagt, und danach dräute die Monstrosität namens Weihnachtsferien, die in Anbetracht der Lage einfach keine Existenzberechtigung hatte. Es waren schier aussichtslose Aussichten.
    In dieser Nacht gab es nichts anderes zu tun, als das Buch mit dem bizarren Einband von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen, die bizarre Geschichte von einem bizarren Geschlecht, das bizarre Dinge tat. Und mitten im archaischen Geschehen wirkte eine geheimnisvolle Gegenspielerin, blaß und schön und streng, befähigt, die eigene Gestalt zu wandeln, befähigt auch, die Gestalt eines anderen zu wandeln. Diese schöne Dame der Schatten zog den Letzten des Geschlechts in ein magisches Duell, und erst im Widerstreit von Zauber und Gegenzaubererkannte dieser Erst- und Letztgeborene seine Macht, sein Wesen, das Wesen seiner Macht und die Macht seines Wesens. In Wahrheit war die Gegenspielerin eine seltsam Nahestehende.
    Aljoscha sah klar. Immer, wenn er einen ersten Schritt tat, war es schon der zweite. Vor etwa 16 Stunden hatte er die Katzenmenschenfrau in ein magisches Duell verwickelt, bei dem SIE, blaß und schön und streng, als Requisit ein Buch eingesetzt hatte, in dem eine blasse, schöne, strenge Schattenfürstin den Helden in ein magisches Duell verwickelt. Es war, als würde man seinen eigenen Schuhen hinterhergehen. Es war, als wäre jemand in eine Grabkammer eingedrungen, hätte dort eine Stele mit fremdartigen Schriftzeichen gefunden, und wenn er sie endlich entziffert hat, liest er, daß jemand in eine Grabkammer eingedrungen ist und dort eine Stele mit fremdartigen Schriftzeichen gefunden hat. Aljoscha schaute auf seine Schuhe. Die vor ihm auf der Erde standen. Die Schuhe sind unruhig. Sie werden zu weit gehen.
    So lagen die Dinge. Selbst wenn er etwas im Schilde führte, leistete er Gehorsam. Er war nur IHR Spielzeug. Er leistete dem Ablauf Folge, den SIE befahl. IHR Blick drang in die geheimsten Winkel seines Daseins und entblößte sein Verlangen – nach dem vollkommen Wahnwitzigen. SIE teilte ihm mit, daß SIE die Herrscherin seiner Verwandlung war. Und gleichzeitig teilte SIE ihm mit, daß SIE ihm gar nichts mitteilte, nicht einmal, daß sie ihm gar nichts mitteilte.
    In dieser Nacht träumte Aljoscha von etwa 600 Männern, die ihm alle schlagartig sympathisch waren. Weil die Katzenmenschenfürstin sie nicht liebte.
    Die vier Elemente sind Himmel, Erde, Feuer und Kraft. Himmel ist helldunkel. Erde atmet. Feuer singt. Kraft hat eine Fährte. Wer dort gräbt, wo eine Katze mit der Pfote das Erdreich antickt, findet einen Schatz.
    Ich könnte jeden auf die Fährte bringen, der mit mir den Lärm der Menge meidet. Ich könnte ihn vor bösen Einflüssen schützen. Ich höre vieles, das viel besser klingt als die ewig gleiche nächtliche Unterhaltung. Ich erkenne die Mauer um die Prinzessin hinter der Mauer, die man nicht sieht.
    Mir scheint, die Lichter in den Häusern brennen viel zu früh. Einmal lag ich in einem schönen Zimmer und stellte mir vor, Damastbezüge zu zerkratzen. Als die Dämmerung einsetzte, ging kein Licht an. Ich war schläfrig und ich blinzelte. Der Abend saugte langsam alle Farben ausden Dingen. Übergänge sind so schön, sagte ich mir. Alle Übergänge sind so

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