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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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schön. Dann gingen mir die Augen über. Im schwindenden Licht wurden alle Dinge grau, doch mit einem Mal bemerkte ich, Grau ist keine Farbe. Grau ist ein Universum. Die Dinge waren eingetaucht in Myriaden von Grautönen. Die unzähligen Nuancen aller Farben wandelten sich in unzählige Nuancen von Grau.
    Das war der Trick. Zu begreifen, daß allen Farben Grau zugrunde liegt. Das veränderte die Dunkelheit. Das machte die Nacht sichtbar.

22
    In den folgenden Nächten las Aljoscha fieberhaft in alten Büchern mit Titeln wie Von denen Vampyren, denn mit dem vernünftigen Geist der Aufklärung hatte Aljoscha, ex-Herr-der-Lage, nichts mehr am Hut. Leda, die ihrerseits diversen Geboten der Stunde nachzukommen hatte, sah er eine ganze Woche nicht. „Hoffentlich“, sagte sie am Telephon, „erkenne ich dich überhaupt noch, wenn wir uns wiedersehen…“ – wie man so leichthin spricht, um schwere Zeit zu überbrücken. Aljoscha aber traf der Satz ins Mark. An seinem Wesen war eine Metamorphose ausgebrochen, und mit seiner Erscheinung mußte er vorsichtig sein. Es gibt nämlich keine Erscheinung ohne etwas, das erscheint. Vielleicht war er für Leda tatsächlich schon halb unkenntlich.
    Die Probe aufs Exempel fand am Sonnabend statt, als Yuri Bloch seine neue Wohnung einweihte, jener Yuri, der vor langer Zeit sein Freundeshaupt einmal zu nah an Ledas Kopf geneigt hatte, was Beihilfe bedeutete zu den odysseischen Wirren im Leben anderer Leute, von denen nur einer Tuschkin hieß, obwohl vielleicht schon zwei den Namen hätten tragen sollen.
    Was Yuri und Aljoscha anging, so gab es keinen besonderen Anlaß, aus dem sie entzweit waren; ihre Lebenslinien hatten einfach begonnen, auseinanderzustreben. Aljoscha wußte, daß er ein Schweizer Nümmerli-Konto in den Wind schießen konnte, und Yuri wußte, wie man Unternehmen berät. Sicher hätten sie trotzdem noch einmal zusammen durch die Wildnis ziehen und sich mit einem fragwürdigen kleinen Gaskocher die köstlichste Reismahlzeit bereiten können am Ufer eines klaren, kalten Sees, der so wirkte, als würde sich bei Nacht der große Nordbär darinspiegeln, brummend, daß die Fichtenwälder zittern; aber sie hätten sich dabei wohl gegenseitig zu oft gesagt, was einen toten Mann aus einem Mann macht, und so ließen sie es eben.
    Yuri also gab sein Einweihungsfest, es war der 13. Dezember. Ledas Bruder Anton war eingeladen, Leda nicht, Aljoscha nicht und natürlich Sonja auch nicht, die soeben erst in A*** angekommen war und vier Wochen lang bei Leda wohnen würde. Kurz, sie fuhren zu viert zu Yuri. Jemand öffnete die Tür und begrüßte Leda mit inhaltsschwerem Gebärdenspiel. Dann erschien Yuri selbst, sichtlich verblüfft. Ob das Wiedersehen ihn freute, fand Aljoscha an diesem Abend nicht mehr heraus. Zwischen Menschen mit lapislazuliblauem Zeug in ihren Gläsern lag eine Entfernung, die einen kaum ein Wort verstehen ließ. Für manche liegt Tragik darin, daß nie all das gesagt wird, was gesagt werden müßte. Für manche nicht.
    Das Fest hatte seinen Zenit überschritten, die Stimmen waren weniger schrill, die Musik leiser, die Nacht tiefer; man war auf den Balkon getreten, um sich am ersten dichten Schneetreiben des Winters zu erfreuen. Wunderbare Stille breitete sich aus, der Nachtschnee drehte die Großstadtzeit um ein paar Dekaden zurück.
    „Da drin hat mich vorhin einer gefragt, was für ein Weltlayout ich habe“, sagte Aljoscha. „ Weltlayout “, wiederholte er und schüttelte den Kopf.
    „Wann weihen wir unsere Wohnung ein, Aljoscha?“
    „Weiß nicht. Ich muß mich um mein Weltlayout kümmern.“
    „Sag doch mal!“
    „Bald“, sagte Aljoscha. „Bald… hoffe ich.“
    „Möchtest du denn noch mit mir zusammen wohnen?“
    „Was?“
    „Weil ich immer so streng bin… ich lasse dich nur in die Wohnung, wenn du vorher die Schuhe ausziehst!“
    „Gottseidank. Ich dachte schon, es gäbe sowas wie Handlungsfreiheit.“
    „Nur, wenn du dich gut benimmst.“
    „Was muß ich tun?“
    „Immer schön früh aufstehen… keine Nachtwachen mehr halten.“
    „Ich sehe nachts einfach klarer.“
    „Unsinn. Und wenn du etwas von mir willst, ich schlafe nachts, du kennst mich.“
    „Das hört dann auch auf!“
    „Und diese laute Trümmermusik! Diese Einstürzenden Musikhallen, oder wie die heißen.“
    „Neubauten.“
    „Da kann ein kleines Kind nicht gedeihen! Es muß auch mal Mozart hören!“
    „Das Beste, was man im Leben finden kann, ist große Kunst. Das

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