Aljoscha der Idiot
kann ein Kind gar nicht früh genug lernen.“
„Das Beste ist große Kunst ? Na hör mal!“
Unten im Schnee fielen zwei Männer übereinander. Einer rief mit schwerer Zunge herauf: „Ist da oben die Boris-N-Nikutin-Party?“
„Nein, hier oben ist die Yuri-Bloch-Party!“ rief Aljoscha zurück.
„Aaaah!“ rief der Mann. „Aaaah!“ Als hätte er gerade einen neuen Planeten entdeckt, von da unten aus. „Aaaah, ahrg!“
„Was soll das überhaupt sein, Trümmermusik? Du hast da nicht den richtigen – “
Leda küßte ihn. „Ich bin glücklich mit dir“, sagte sie.
Seine Hand berührte ihre kalte Wange; sie neigte ihren Kopf ein wenig, wie um sich ganz in diese Hand zu geben. „Weißt du noch, wie ich mal bei Sonja war und diesen Satz geträumt hatte: Katzen sind System –?“
Aljoscha zog seine Hand zurück. „Wie kommst du denn jetzt darauf ?“
„Ich weiß nicht. Es fiel mir gerade ein.“
Aljoscha betrachtete die Paare, die da unten durch den Schnee stampften. „Mir ist noch nicht aufgefallen, daß Katzen besonders systematisch wären“, sagte er.
„Doch, eigentlich schon“, meinte Leda. „Katzen haben so komische Rituale.“
„Was soll denn daran komisch sein?“ Aljoscha war selbst irritiert vom unnötig unwirschen Tonfall seiner Antwort. Leda zuckte nur die Schultern.
„Vielleicht müssen wir gar nicht zusammen wohnen“, sagte sie.
Aljoscha sah sie an, als hätte der Papst sich Suppe über den Latz geschüttet.
„Man muß die Existenz miteinander teilen, nicht die Wohnung. Wie Sartre und Simone de Beauvoir. Außerdem, ich komme gern zu dir! Das ist immer spannend – und ebenso gern erwarte ich Sie, Monsieur! Schon die Neugier in den Zwischenzeiten! Die Phantasien, die man spinnt!“
„Was für Phantasien?“
„Wollen wir nicht gehen, Aljoscha?“
„Ich werfe dich gleich ins Gebüsch! Und springe hinterher!“
„Siehst du?“
„Nein, nein, warte… wir sollen nicht zusammen wohnen?“
„Ich dachte, du findest den Gedanken gut.“
„Naja – er kommt plötzlich!“
„Ich möchte lieber heute als morgen ein eigenes Dach über dem Kopf. Und ich dachte so bei mir, eine kleine Wohnung nur für mich, das wäre mir auch lieb. Mein Tisch, mein Brot mit meinem Kräuterkäse und meinem Glas Rotwein und meinen Gedanken an meinen Philosophiestudenten und seine Katze.“
Der Schneefall hielt kurz an. Hatte sie „seine Katze“ eben zweideutig betont? Nein, Unsinn. Es ging um Camus. Leda fand, das sei ein schöner Name für eine Katze. Sie fand, er klinge samtig. Diese für sie beide vorgesehene Katze hatte Leda ihm soeben überlassen.
Aljoscha sah, wie an einer entscheidenden Weiche ein schwerer Hebel umgelegt wurde, von einem Mann, der sein Gesicht im Schatten der Hutkrempe verbarg. Leda also dachte bei sich, wie eine Prinzessin im Märchen, und niemand ließ sie wissen, daß sich ihr Märchen gerade verdüsterte.
„Seid ihr immer noch hier draußen?“ rief Anton, den Lockenkopf im Türspalt. „Wir wollen aufbrechen!“
„Wir sind gleich bei dir, großer Bruder“, sagte Leda. Anton verschwand wieder.
„Übrigens, kanntest du den, der uns vorhin die Tür geöffnet hat?“ fragte Aljoscha.
„Ja. Er heißt Konstantin.“
„Rollt er immer so mit den Augen?“
„Es ist lange her, Aljoscha. Ich war einmal ganz kurz mit ihm zusammen, aber es ist lange her.“
Und wenn unter der Toga des Cäsar Wunden zu bluten begannen, so bemerkte es niemand. Von Yuris Balkon im 4. Stock schaute Aljoscha herab auf die Bäume, die den Schnee auffingen. Standen da zwischen Mauern und Metall und legten ein vergängliches Gewand an aus glitzernden Kristallen, standen inmitten des Blödsinns der Metropole, Wurzeln ächzend unter dem Asphalt, standen stoisch, den Überblick behaltend mittels vegetativer Navigation, der Stamm auf seinem Stammplatz und alles beim Alten, beim weisen alten Nieverrückten, der keinenWert drauf legt, irgendwas als erster zu erfahren, aber immer Grund hat, knorrig zu brummeln; jetzt aber, mit Ästen und Zweigen im Schneeflockengewand, zeigte sich sein Sinn für Eleganz.
Aljoscha hatte soeben begriffen, wo er sich befand. Nicht weit von hier lag die Metrostation Dobropol. Yuri war in dieser Millionenstadt in genau jenes Viertel gezogen, das Aljoscha vor kurzem ausgekundschaftet hatte. Genau hier, von Yuris Balkon im 4. Stock aus, blickte er womöglich gerade auf das Haus der Katzenmenschenfrau. Aljoscha stand reglos wie die Bäume, die den Schnee
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