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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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quittierte schon die Frühphase solch bizarrer Meditationen, in der die Klimax in suspenso hing und der Dämon noch Warnkins Zunge zurechtdrehte, mit einem Laut des Amüsements, einem allerdings dezenten, genaugenommen beinahe unhörbaren Laut, gerade noch wahrnehmbar für ein aufmerksames Ohr in seiner Nähe. Und deutlicher von Mal zu Mal hörte Aljoscha dann hinter seiner linken Schulter einen leisen Echolaut, der wie ein Zeichen des Einvernehmens war, ja beinahe so etwas wie Seelenverwandtschaft andeutete… er konnte SIE lächeln hören. Lächeln hören, jawohl. Die allerzartesten Schwingungen IHRER Stimme gaben diesem Echo Klang: nicht genug, um das Timbre dieser Stimme auch nur annähernd distinkt zu machen, wohl aber genug, um IHR einen Hauch von Weltlichkeit zu geben. Mochte SIE sich auch auf Befehl der Nemesis oder einer Katzenmenschengöttin materialisiert haben, so war SIE doch nicht stumm. Obwohl das wenig besagte. Kein Vampir, kein Geist, kein Spuk, der sich nicht irgendwie artikuliert hätte.
    Was aber war dies sonst, wenn nicht chiffrierte Antwort, eine Botschaft, die bestätigte: du bist mein Echo, also bin ich deines… als Aljoscha dies begriff, war die bloße Gegenwart der mysteriösen Schönen ausgesponnen zu Bezug, Verbundenheit, Verständigung: unsichtbare Schlingen zogen sich um SIE und ihn. Wie leicht SIE seine verschlüsselte Geste, den Rhythmus IHRER Mitschriften zu imitieren, durchschaut hatte… das war tatsächlich ein wenig beunruhigend. Stand wirklich fest, daß jetzt er die Spielregeln im Griff hatte? Diese Frau gab sich den Anschein völligen Unbeteiligtseins, aber SIE hatte ihn so mühelos entziffert, daß der Zauber der Erwiderung eine gewisse Erschütterung erfuhr. Was kann so unbeteiligt wirken wie eine Raubkatze? Nichts läßt die Beute ahnen, daß sie längst Beute ist, während sie noch friedlich bei der Wasserpfütze träumt. Wenn sie das Endgültige der Krallen spürt, dann wird der Beute vielleicht klar: eine andere Möglichkeit hat nie bestanden.
    Das Phantastischste an Aljoschas Phantasmagorie war, daß er diese Frau unter Tausenden erkannt hätte, ohne dabei auch nur die Farbe IHRER Augen angeben zu können, diese Augen, die er nie länger als eine Sekunde aufblitzen sah, gerade lang genug, um eine diskrete Begrüßung zu funkeln. Einmal oder zweimal war Aljoscha versucht, diese Sekunde in ein Lächeln zu kleiden, dann nicht mehr. SIE schwatzte nicht mit den Hofdamen, SIE wandte sich keinem der Jünglinge zu, SIE sprach mit niemandem, IHRE Stimme blieb Geheimnis. Trug SIE einen Ring am Finger? Trug SIE Ohrringe? Er wußte nichts. Nur eines: daß SIE dem höfischen Treiben auffallend entrückt war; daß SIE nicht nur wie eine Erscheinung anmutete, sondern auch die Existenz einer Erscheinung führte.
    In Phasen der Besonnenheit sagte sich Aljoscha, daß die merkliche Betonung, mit der SIE seine Ankunft stets zur Kenntnis nahm, wie kurz und knapp auch immer, nichts war als der Ausdruck ganz normaler Neugier: SIE fragte sich, wer da so beharrlich direkt vor IHR siedelte, sonst nichts. Wer war er, mehr sehen zu wollen?
    Er war Aljoscha Tuschkin und sah mehr. Er sah, daß SIE keinem der Anwesenden auch nur einen Anflug von Aufmerksamkeit schenkte, lediglich Warnkin und ihm, dem dienstäglichen Fremdgänger, dem fremden Landgänger, dem Matrosen Tuschkin, der die Piratenflagge hißte, um IHRE Nähe zu entern. Ein Pakt war geschlossen mit der Geheimnisvollen, ein heimlicher Schwur band sie aneinander, SIE gab ihm IHREN Blick zum Gruß und nahm als Zoll den seinen, willkommen hier, mein Wiedergänger, mein Immerfortgänger, doch wage nicht, ein Wort zu sprechen. Und Aljoscha sprach es nicht. Und wer hätte dieses Wort gewußt? Dieses Wort aus einem anderen Leben?
    Übrigens hatte er Leda so gut wie nichts davon erzählt. Was gewiß bemerkenswert war, da er eigentlich nichts vor ihr verbarg. Nur war ihm seine allwöchentliche Verabredung – mit einem Wort – kostbar geworden; und doch war sie ja etwas ganz Undiskutierbares, Ins-Wasser-Geschriebenes, etwas so Unauffälliges, daß sie wie eine klandestine Ehe gewissermaßen ungültig war, irrelevant, formal nicht existent. Ohne daß ein Wort gefallen war, ja ohne daß eigentlich überhaupt etwas geschehen war, fand sich Aljoscha plötzlich mit einem weiblichen Wesen alliiert in einer Geschichte, die eigentlich doch keine war, die zwar ihren eigenen Gesetzen folgte, indes so irreal blieb, daß sie keinen Unterhaltungsstoff bot; man

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