Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
Vom Netzwerk:
und Aljoscha war der Dichter, der nicht schrieb. Wenn Pjotr sich in A*** aufhielt, nächtigte er bei Aljoscha, doch es gab auf einmal guten Grund, nie mehr zu nächtigen. Es war in B*** geschehen, vor drei Tagen; Pjotr hatte in einer Kaschemme ein paar glühende Kohlen auf seinem Haupt gesammelt, bis Antlitz und Wesensart einer anwesenden jungen Dame ihn plötzlich in ein schweres Seelenfieber stürzten; kühn war er der Holden, als sie das Lokal verließ, entgegengetreten, hatte ihr Knall auf Fall seinen Zustand offenbart, und die Reaktion der so schwerwiegend Angesprochenen, sie hieß Alexandra,hatte die Grenzen des Anstands nicht unnötig ausgedehnt, zugleich aber das halbe Universum offenstehen lassen.
    Jetzt saßen Pjotr und Aljoscha unter dem gelben Augustmond auf einem Bootssteg, an den das nachtschwarze Wasser der Alstrawa schlug mit gurgelndem Geräusch. In einiger Entfernung waren Säulen aus rotem Licht zu sehen, die scheinbar aus dem Wasser ragten: gläserne Leuchtröhren, installiert auf einem Ponton. Ein besänftigender Anblick, der vermutlich Pjotrs Explosion verhinderte: er kam sich vor wie Sprengstoff in Schuhen. Er war ein komplettes Nervenwrack, und die Aussicht, daß jene Alexandra schon sehr bald für ein paar Monate nach London reisen würde, drehte alle Schrauben seiner unübersichtlichen Verfassung gänzlich locker.
    „Kreuzteufel“, rief er, „ich muß noch einmal mit ihr sprechen, bevor sie abreist! Ich muß mich erklären! Zehnmal schlucken und dann schwören: ich bin verliebt in Sie, mein voller Ernst, so wahr ich hier stehe, und mich soll der Schlag treffen! Und dann soll Antiope, oder welche Göttin hier zuständig ist, ein Machtwort sprechen oder abwinken: Verzeihen Sie, Herr Pjotr, es war ein kosmisches Versehen, Schnitzer unsererseits – und dann muß ich mit den Armen rudern und rufen: kommen Sie mir doch jetzt nicht mit faden Dementis! Schockschwerenot! Was täte ich bloß ohne dich, Aljoscha! Ich bin kurz davor, ins Wasser zu springen vor lauter – herrje – ich habe hypermotorische Anfälle, was sage ich, einen Daueranfall… wenn ich alles aussprechen müßte, was mir durch den Kopf geht, wäre das vor lauter Überlagerungen nur ein Gleichzeitigkeitsbrummen – ich weiß nicht, bin ich eigentlich noch ich? Ich muß mal in meinen Identifikationspapieren nachsehen.“
    „Ich würde sagen, du hast das Herz, das dir zusteht.“
    „Hurra, das dachte ich auch!“
    Wie war dieses Herz beschaffen? Es war, befeuert von Antiope, oder welche Göttin hier zuständig war, endlich gewillt, Dämonen in die Flucht zu schlagen, die ihren rohen Reigen routiniert mit Pjotr tanzten. In dieser Nacht zumindest waren sie vergessen, und Aljoscha freute sich, Pjotr in diesem Zustand schusseliger Trunkenheit zu sehen, die Aussicht auf chronische Schlaflosigkeit geradezu willkommen heißend, mochte es auch sehr wahrscheinlich sein, daß bei Pjotrs Rückkehr nach B*** die Dämonen ihr Geheul nur um so lauter anstimmten.
    Vor fünf Jahren hatte Pjotr A*** verlassen, um in B*** sein Glück zu machen, und dieses Glück war damals noch wie eine Leinwand fürMarja Polunina, die warme Sonnentage darauf malte. Marja, sie lebte verheiratet in der Nähe von B***, hatte Pjotr kennengelernt, als der junge Mann im Hause des Lehrers Polunin manchen Tag zubrachte. Sieben Jahre war das her; sieben Jahre, und aus dem Zauber war eine endlose Parade abscheulicher Szenen geworden, verbrannte Erde hinterlassend.
    Die Ursache dieser völligen Umkehrung war scheinbar leicht einzusehen: Pjotr (er war blond, trug eine Nickelbrille, hinter der es blitzte aus klaren blauen Augen, und seine Schuhe waren spitz) war zu einem gewissen Zeitpunkt in eine gewisse Passion für eine gewisse Nadja gefallen. Und wer kann sagen, wo ein Herzschlag herkommt. Und seitdem präsentierten Marja und Pjotr sich gegenseitig uneingelöste Wechsel zuhauf, und aller Reichtum zwischen ihnen wurde langsam aufgezehrt von der perversen Bereitschaft für den Schmerz, dem anderen wehzutun. Und ringsumher versammelten sich Dämonen und zogen grinsend Perle für Perle auf eine Schnur, bis die Kette der Ressentiments lang genug war, um zu strangulieren.
    Aber kein bloßer Treuebruch war der Grund der Drangsale, in die Marja und Pjotr sich zogen; dieser Grund lag tiefer. Pjotrs lichterlohe Liaison mit Fräulein Nadja, soviel glaubte Aljoscha zu verstehen, war eine unsinnige, verzweifelte, nicht zu rechtfertigende und doch unausweichliche Auflehnung gewesen

Weitere Kostenlose Bücher