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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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gegen ein genuines Mißverständnis, eine Unstimmigkeit, eine Diskrepanz, die von Anfang an bestanden hatte und allem Sinn bald einen Widersinn verlieh: Marja hatte Pjotr zur Liebe ihres Lebens erwählt. Sie wollte gegen alle Widerstände daran glauben, daß Pjotr für sie jener Mensch war, dem man im Leben nur einmal begegnet. Sie glaubte an diese Liebe mit aller Kraft und mit allem Mut, und gerade dieser wilde Glaube kehrte seine Heftigkeit jetzt gegen sie, und jeder Augenblick der Hoffnung machte den Rand der Verzweiflung nur zum Laufsteg in die schlechte Unendlichkeit. Die Augenblicke der Hoffnung sind das Schlimmste an der Katastrophe.
    Vielleicht, dachte Aljoscha, gibt es bestimmte Dinge, die nicht wiedergutzumachen sind, weil bestimmte Dinge niemals gut zu machen waren, nicht immer sind schlecht gemachte Dinge schuld, überhaupt ist Schuld manchmal ein sinnloses Wort. Ein bitteres Geschenk der Götter ist der Wunsch, die Zeit zurückzudrehen und Dinge noch einmal anders zu machen – weder weiß man, ob man sie tatsächlich anders machen würde, noch, ob es am Ende einen Unterschied ergäbe; denn es ist nicht gesagt, daß es genügt, nur eine bestimmte Sache anders zu machen. Vielleichtkönnte man einen ganzen Bienenschwarm von Details in andere Richtungen jagen, ohne daß es den Ausgang der Geschichte änderte.
    Marja und Pjotr zwangen sich gegenseitig immer unnachgiebiger zur Anerkennung des vom anderen niemals Anerkannten. Was Pjotr betraf, so war er eigentlich entschlossen, sich in einer Art Untergrundkampf erst einmal auf eigene Rechnung durchzubeißen. Er schien von sich noch einen wahreren Pjotr zu erwarten, der bislang noch kein Bein auf die Erde gesetzt hatte. Er privatisierte gewissermaßen die Theorie der Permanenten Revolution zu einer Idee der Selbstschöpfung unter der nur ihm selber ganz verständlichen Voraussetzung, daß er Ketten und Bleikugeln mit sich herumschleppte, die es noch abzuschütteln galt, kurzum, den gestrigen Tag teilte ich mit meinem Unwohlsein, wie Seneca sagte, aber Karthago muß zerstört werden, wie Cato sagte, und niemand kann das für mich tun, wie Pjotr sagte. Sein Leben war in Vorbereitungszeit. All dies hatte gar nichts mit Marja zu tun. Und eben darin lag das Unglück.
    Pjotr hatte die Impulse, die er für die Kunst, ein Mensch zu sein, vonnöten hielt, immer in sich selbst gesucht. Was Marja in ihm sah, fand er dort nicht. „Es ist mir nie gelungen“, sagte er, „Marja zu bedeuten, daß ihr Leben und mein Leben zwei Leben sind.“ – Vielleicht glaubte Pjotr an die Liebe eines Lebens, wie man an die dunkle Seite des Mondes glaubt; an eine Liebe, die nur ein Leben ist, glaubte er nicht.
    Vielleicht war es ja wirklich so, daß man jeden Menschen irgendwann seinem eigenen Schicksal überlassen mußte, nicht aus Kaltschnäuzigkeit, sondern, weil notwendig und grundsätzlich irgendwann der Tag kommt, an dem man die Erwartungen ernüchtern muß. Immerhin, wie war das möglich, daß man von seinem Ich, dem dummen, armen Ich, in einer anderen verwirrten Seele so abwegige Vorstellungen entstehen lassen konnte, daß man glatt den Eindruck hatte, nicht im mindesten man selbst zu sein? Ich bin dein Bild, du hast mich gemalt. Sogar meinem Schatten bleibt vieles an mir dunkel.
    Aljoscha hatte immer geglaubt, daß man jeden Menschen irgendwann seinem eigenen Schicksal überlassen mußte bis auf einen, und zwar einfach deshalb, weil dieser eine existiert. Und da dies so war und Leda existierte, stand er im Leben wie einer der Besessenen in der Bibel, wenn die gute Hand sich nach ihm ausstreckt: verstockt gegen die Offenbarung, blind für die Aussichten, die Faust geballt gegen die lichte Erscheinung. Freilich, wenn er mit Pjotr zusammen war, begann dasunerklärliche Schimmern kommender Bedeutungen, das Durchscheinen des Hintergründigen, das seine Wirkung nicht verfehlen wird, ein Phosphoreszieren des Unaussprechlichen, das von uns verlangen wird, enorme Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Woher sie kam, die Ahnung, daß da etwas wartet, um gefühlt zu werden, wußte Aljoscha nicht zu sagen, aber in Pjotrs Gegenwart tauchte sie gewissermaßen zyklisch auf.
    Daß Marja regen Austausch mit Aljoscha pflegte, kam nun zweifellos auch daher, daß er ohne mit der Wimper zu zucken davon reden konnte, daß bestimmte Seelen füreinander geschaffen seien, und daß eine einzige Gewißheit unzerstörbar macht. Hier war, bei Bedarf, ein so niet- und nagelfester Priester der unbedingten Liebe.

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