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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Einssein! Alle Himmel! Er glaubte all das wirklich. Aljoscha wußte, daß er sozusagen einer Morphinistin das Gift lieferte, von dem ein anderer sie zu kurieren suchte, doch die Dosis, die er beitrug, war andererseits auch nicht so hoch, wie Marja ihn zuweilen glauben lassen wollte. Marja war nicht von seinem Quantum abhängig.
    Und nun sprossen und schossen plötzlich und urgewaltig wie der russische Frühling Empfindungen in Pjotr, die seinen Hang zum Eigengesetzlichen mindestens in Quarantäne hielten; aus Pjotr war ein beschwerdeführendes Bündel geworden, das unaufhörlich wehklagte über das Versäumnis, Fräulein Alexandra nicht danach gefragt zu haben, unter welcher Adresse sie in London zu erreichen war. „Was, wenn ich sie nicht mehr sehe, bevor sie fährt? Soll ich mich vielleicht drei Monate in den Sand setzen und über meine Blödheit meditieren? Hauptsache, irgendein Archäologe gräbt mich rechtzeitig wieder aus.“
    Pjotr hatte Marja über seinen Seelenzustand nicht in Unkenntnis gelassen, und die Mächte des Schreckens hatten eine Anspielung auf die griechische Mythologie geboren.
    „Was weißt du von Jason und Medea?“ fragte Pjotr.
    „Jason hat mal eine Göttin über das Wasser getragen. Aber er hat nicht gewußt, daß es eine Göttin ist.“
    „Was ist denn das für eine Geschichte?“
    „Sie saß auf seinem Rücken, aber er wußte nicht, daß es eine Göttin ist. Und er hat einen Schuh verloren dabei.“
    „So?“
    „Und den Griechen war ein Mann unheimlich, der nur einen Schuh trug. Sie hatten irgendwie den Eindruck, der steht mit einem Fuß in der Unterwelt.“
    „Ja, aber ich meine die Geschichte mit dem Goldenen Vlies.“
    „Ah.“
    „Also, Jason macht sich mit den Argonauten auf zu dieser Insel und fordert vom König das Goldene Vlies. Medea ist die Tochter des Königs. Sie versteht sich auf magische Künste. Diese Riesenschlange bewacht das Goldene Vlies. Ich weiß nicht, was Jason mit dem Ding wollte, aber er erringt es durch Medeas Hilfe. Medea war schön, aber es heißt auch, daß ihr Angesicht verdüstert war. Jasons ganzes Unternehmen wäre ohne Medeas Kunst einfach gescheitert. Und für ihn wendet sie sich gegen ihr eigenes Haus, verstehst du? Gegen ihre Angehörigen. Sie flieht mit Jason von der Insel. Aber Jason verstößt sie für eine andere Königstochter. Medeas Rache ist schauderhaft. Sie weiß, wie man die schwärzesten Mächte beschwört. Und wie man diese Mächte in sich selbst entfesselt. Ihr Haß ist so maßlos wie ihre Liebe. Oder so blind wie ihre Liebe.“
    „Aber sie tötet Jason nicht.“
    „Nein. Er muß erleben, was sie anrichtet. Das ist überhaupt die Essenz ihrer Rache.“
    Aljoscha bemerkte ein mythologisches Tier, das sich ihnen von der Seite näherte. Dann versteinerte es, fiel um und war verschwunden.
    „Marja sagt, sie könne nicht zurück, also müsse sie vorwärts wie Medea. Ich habe ein Messer in ihre Würde gestoßen, das ist wahr, und ich kann es nicht rückgängig machen. Aber diesen Mythos kann sie nicht beschlagnahmen. Oder sagt der Mythos vielleicht, das Falsche war schon falsch, bevor es einen Fälscher gab? Tut er nicht, soweit ich weiß.“
    „Aber diese andere Königstochter – “
    „Das ist nicht der Punkt!“
    „Was ist dann der Punkt?“
    „Der Punkt ist – jemanden dort festnageln wollen, wo er sich zum Teufel nicht befindet. Das ist das Schlimmste. Das ist die Hölle. Die Unwahrhaftigkeit. Marja liebt nicht mich. Sie liebt es, mich zu lieben. Sie ist eine große Romantikerin, aber ihr Wunschtraum hat mich immer nur geblendet. Marja täuscht sich in mir, und damit täuscht sie sich selbst. Ich sehne mich nach Wahrhaftigkeit, Aljoscha.“
    Das Wort elektrisierte Aljoscha, als wäre es Schwachstrom. Vielleicht war es gut, daß dieses Wort gefallen war unter einem horchenden Nachthimmel, einem gehorchenden, wer weiß.
    „Diese Unwahrhaftigkeit“, sagte Pjotr, „sie kommt mir vor wie so ein Gorgonenhaupt mit offenem Mund, und durch dieses Loch kriecht allesnur verzerrt und falsch heraus, bis nichts mehr noch mit irgendwas zu tun hat… ich habe viel zertrümmert, nur diese Zerrbilder sind hart im Nehmen. Vielleicht, daß ich jetzt die Kraft habe, dem Spuk ein Ende zu machen, ein Ende, das keinen von uns auf die Knie zwingt. Jetzt, wo ich endlich wieder einen Kopf auf den Schultern zu haben scheine und ein paar Sinne, die funktionieren. Und ich will ihm standhalten, dem Auge der Sphinx.“
    „Dem Auge der

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