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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Sphinx?“
    „Ja. Dem Auge der Sphinx.“
    Die Trauerweiden raschelten verträumt. Eine Polizeisirene war zu hören, vom anderen Ufer her. Ein Vergnügungsschiff, beladen mit Lachen, bunten Lampions und schaler Tanzmusik, glitt ins Nichts. Aljoscha spähte in das Dunkel. Sie kam über das tintige Wasser getanzt. Wehmut.
    Was hatte sie denn angelockt? Was hatte Wehmut hier zu tun?
    Die Rede von Wahrhaftigkeit, die Rede von Wahrhaftigkeit.
    Was wispert in den Trauerweiden? Was wispert Wehmut nun?
    Sie wispert „Sphinx“… sie wispert „Sphinx“…
    Verschwörerischer Klang. Sphinx. Auge der Sphinx. Augen, Blick der Wahrheit, wahrhaft schön, Schönheit Wahrheit, Wahrheit Schönheit.
    „Schön, nicht wahr?“ sagte Aljoscha und meinte die Säulen, in denen das Licht des Morgenrots gefangen schien.
    „Wie ein Symbol für die schmerzliche Ferne des Faszinierenden!“ sagte Pjotr. „Oder vielmehr, ein Symbol für die schmerzliche Nähe dessen, was von fern her fasziniert – aber was rede ich denn hier? Himmel, mir ist, als hätte ich 24 Tassen türkischen Kaffee getrunken. Erinnerst du dich, wie wir damals in Marseille zum Alten Hafen gingen, und wie mich die phänomenale Handlungsweise dieser Frau begeisterte, die ihren kleinen Sportwagen mitten auf einer belebten Kreuzung abgewürgt hatte und mit bestechender Fraulichkeit reagierte – was es genau war, ist mir entfallen, aber der Eindruck, daß es so war, ist noch lebendig. Ich habe eigentlich immer das Gefühl, dieses Etwas, das mich dabei so überwältigt, nicht fassen zu können. Ich dachte, das sei irgendein Defekt bei mir… jetzt weiß ich, es ist gerade dieses nicht zu Fassende, das der Faszination Flügel verleiht – wann habe ich übrigens zuletzt einen Bissen gegessen? Ich verspüre überhaupt keinen Hunger mehr. Ich habe nicht einmal Alexandras Londoner Adresse, sagte ich das schon?“
    „Ja, das sagtest du schon.“
    Pjotr sprang auf, ging hin und her, dann setzte er sich wieder. Von der Tarantel gestochen. „Ich hätte das nie gedacht… daß ich meinem Verstand so eine Nase drehe.“ Er sah Aljoscha an, als wollte er ihn auf der Stelle küssen.
    „Du bist nicht so ein Rationalist, wie du glaubst“, sagte Aljoscha. „Und übrigens, jeder Rationalist hätte wohl längst ihre Londoner Adresse.“
    Pjotr gab einen undefinierbaren Laut von sich, etwa so, als hätte jemand auf einen Dudelsack getreten. „Mein Verstand“, sagte er dann, „hat mich immer nur befangen gemacht. Das stand wie ein Paravent zwischen mir und der Welt. Sonderbar ist das! Sagt man nicht, der vollkommene Rationalist hat keine Skrupel mehr? Ich habe die Erfahrung gemacht: je rationalistischer es in deinem Schädel zugeht, um so mehr gleicht er einer Manege, in der alle nur möglichen Skrupel auftreten, bis alles Handeln lahmgelegt ist. Gehört meine Hand überhaupt zu mir? Mir haben immer die Anhaltspunkte gefehlt, die aus sich heraus richtigen, nicht die gedachten. Ich glaube, manchmal muß man agieren wie ein Trottel, um etwas Vernünftiges zu tun – und als ich vor ihr stand, vor – wie heißt sie – die – “
    „Alexandra. Sie heißt Alexandra!“
    Pjotr sprach nicht weiter, wodurch er genau das ausdrückte, was er hatte sagen wollen.
    Faszination ist ein Wort aus dem Lateinischen, wo es Behexung meinen konnte, oder auch Beschreiung. Einer Faszination unterliegen kann demnach bedeuten, daß man behext wird, oder aber: etwas wird beschrien. Im Sinne von: Beschreie es nicht.
    Pjotr durchmaß seine Faszination, bis der noble Mond sich keusch verhüllte hinter Wolkenschleiern. Und Aljoscha hörte Pjotr zu, wie man früher auf den Plätzen den Propheten zuhörte. Und dann zurückging in das Haus, wo wenig Wasser war. Wo ständiges Besorgen keine freie Hand ließ. Aber Wehmut war gekommen in das Haus. Und sie fragte, wo Faszination geblieben sei. Und Aljoscha sprach, daß er sie weggegeben habe. Und Wehmut fragte, wohin weggegeben. Und Aljoscha sprach, daß Faszination an einen Stein gebunden sei und im Meer versenkt, 2000 Faden tief. Und Wehmut fragte: warum so? Und Aljoscha sprach: weil mein Ort auf dieser Erde nur bei Leda ist, und weil ich dies besiegeln wollte. Und Wehmut fragte: wann hast du dies verstanden? Und Aljoscha sprach: als unser Weg schon so lang war,daß er mir schien wie ein heiliger Fluß. Und Wehmut fragte: bist du darum von den anderen so weit entfernt wie eine Nacht in Babylon vom Licht? Und Aljoscha sagte: ja. Und Wehmut fragte: hast du darum

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