Aljoscha der Idiot
sich die Dinge leichter richten lassen. Aber das war eine A-Dur-Betrachtung der Dinge, und so wie die Dinge lagen, hieß das vor allem keine D-Dur-Betrachtung der Dinge, und da war schlechterdings kein Mittelding dingfest zu machen. A-Dur ist von kluger Diesseitigkeit, realistisch wie die Kornsieberinnen von Courbet. Mit zarter Sympathie für das Skurrile, aber niemals ungesund entrückt. A-Dur hat etwas Versicherndes. A ist für Akkommodation. Wenn D-Dur der Eingang in das Labyrinth ist, dann ist A-Dur der Ariadnefaden. A-Dur stellt sich zur Verfügung, räumt Steine aus dem Weg, reicht die Hand und stärkt den Rücken. Von A-Dur aus sind die Wege klar und deutlich. A ist für Apollon. Wenn D-Dur geschürte Spannung ist, dann ist A-Dur der beendete Schwebezustand, der Fuß auf dem Erdboden, das Erdende überhaupt, das Heimleuchten, das Klipp- und Klare, das durchaus Robuste, die kluge Entscheidung, die weisen Jungfrauen, der merkurische Verstand. A-Dur sorgt ganz unsentimental für Sachlichkeit. A-Dur, das sind die schnörkellos unterzeichneten Dekrete des Königs und die aus der Stadt gejagten Gaukler, Falschspieler und Hochstapler. A-Dur kennt nichts hinter den Dingen und steckt vier Pflöcke zum Quadrat.
Dagegen ist D-Dur die Frau auf einem Hügel, die Ausschau hält nach einem Reiter. Die Farbe, die im Regenbogen fehlt. Die Göttin, die nicht in ihrem Tempel bleibt. Eine Nacht aus unerklärlichem Licht. Der Schein hinter der Wahrheit hinter dem Schein. D-Dur ist der Blick zwischen Lancelot und Guinevere. Der nahe Atem einer nächtlichen Besucherin. Der schwarze Adler, der sich im All verliert. Ein Ruf in einer Schneelandschaft. Erinnerung an einen fernen Nachmittag, als ein Wispern war im Blätterrauschen. Vernichtung einer klaren Antwort. D-Dur behauptet: Mögliches kann niemals aufgehoben werden. Also ist Mögliches begründet durch unbedingt Notwendiges. D-Dur ist, was Felsen bröckeln läßt.
An den Fels, von dem es hieß, er würde niemals bröckeln, dachte Aljoscha, als der Kies der Einfahrt unter seinen Schuhen knirschte. Ein Tupfer fahlen Mondlichts erschien hinter den Wolken. Leda nahm Aljoschas Hand, doch etwas Schauerliches griff nach ihm.
Ledas Zimmer war noch immer ein Mädchenzimmer mit der für Jungen unergründlichen, von plappernden Kobolden entworfenen Ordnung aller Siebensachen. Ein kleines Püppchen war Prinzessin im Reich der selbstvergessenen Garnrollen, der mit Fadenresten symbiotisch verbundenen Nähnadeln, der überzählig träumenden Knöpfe, die von Zeit zu Zeit „Ach ja…“ oder „Hört, hört!“ vernehmen ließen, der Strohblumen und Schachteln und Flakons, der Bücher, die sich aufgeregt wie Grammatikschüler in eine Reihe stellten, der Kinderschuhe aus braunem Leder, die vor langer Zeit einen Knirps im Matrosenanzug an besonderen Tagen straßenfertig gemacht hatten und in die jetzt manchmal ein Stoffbär stieg, um zerstreut umherzuklompern. Das kleine Püppchen mußte auch an diesem Abend nicht vor lauter Scham über flutende Passion erröten, denn diese Form des Nichtgeschehens geschah nun schon ganz integriert ins Geschehen. Vielleicht hatte der Griff aus dem Dunkel auch Leda erfaßt, jedenfalls war sie gestimmt zu einer Art von psychischem Roulette. Mit den Karten des Tarot. Die Wahl, die auf eine von 78 Möglichkeiten fällt, erlaubt dem Kommenden zum Schein, alles auf eine Karte zu setzen.
Leda wollte, daß Aljoscha die Karte zog. Und er zog die Queen of Pentacles, die Königin der Scheiben oder Münzen, auf denen ein Pentagramm zu sehen ist.
„Und?“ fragte Leda. „Was bedeutet das?“
„Eine Hofkarte“, sagte Aljoscha.
„Eine bestimmte Person?“
„Ich würde jedenfalls nicht denken, daß es eine bestimmte Idee oder ein bestimmter Zustand ist. Eher eine bestimmte Person und ihr Einfluß.“
„Und diese Scheiben?“
„Also – die Stäbe bedeuten Energien. Das ist der Bereich des Feuers. Die Kelche – “
„Das sind die Gefäße der Gefühle!“
„Ja. Die Seele und der Bereich des Wassers. Die Schwerter symbolisieren das Geistige und den Bereich der Luft. Und die Scheiben, das ist der Bereich der Erde. Die reale, materielle Welt.“
„Jungfrau ist doch ein Erdzeichen!“
„Stimmt.“
„Oh nein! Sogar diese Karten spielen mir einen Streich! Du hast mich gezogen, deine Königin, die immer so schrecklich realistisch ist!“
„Vielleicht geht es um etwas, das sich gerade materialisiert und konkret in Erscheinung tritt…“
„Du hast gesagt,
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