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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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jeder Zeile auch von Leda spricht. Und es ist ganz unerheblich, ob du dabei ihren Namen schreibst.“
    „Wenn du in einem Zustand lebst, der dir natürlich scheint, fragst du dich dann je, ob er auch gerechtfertigt ist?“
    „Ich weiß nicht, woran du zweifelst, Aljoscha!“
    „Die Zweifel sind tödlich, die das Natürliche unnatürlich machen.“
    „Ich frage mich, warum der Himmel so tief über dir hängt.“
    „Weißt du, was Arete ist?“
    „So eine Geschichte bei den alten Griechen.“
    „Ja. Jeder von uns hat auf dieser Erde etwas Bestimmtes zu tun. Du findest deine Sache, und du machst sie auf die bestmögliche Weise, das ist Arete. Du findest den Wert, für den du leben willst, und dann gibst du ihm unter allen Umständen Feuerschutz.“
    „Großartig. Und wo ist jetzt dein Grund zur Klage? Stell’ dich in die Reihe, du bist noch nicht dran.“
    „Angenommen, jeder ist zu einer ganz bestimmten Sache ganz besonders fähig. Heißt Scheitern dann nicht einfach, daß man von seiner Fähigkeit das falsche Werk verlangt hat? Daß man sich in der Pflicht geirrt hat?“
    „Du machst mir nichts vor. Deine Arete, das ist – alle Anstrengung, damit Ledas Glück von Sonntag zu Sonntag hält.“
    „Und ein Fest für die Frau, die ihr das Hochzeitskleid näht.“
    „Und was fürchtet einer, der das weiß?“
    „Daß es nur Worte sind… ich dachte immer, hier zu scheitern, wäre das Ende vom Lied. Ich dachte immer, ich wäre dann außer Betrieb, dachte, sie könnten mich vergraben dann. Und jetzt denke ich: nein. Es wird mir nicht das Leben nehmen.“
    Genauer gesagt: wenn ihn der Abflug durch ein Dimensionsloch ins interstellare Rauschen jagen würde, bis er weit hinter Beteigeuze miterleben dürfte, wie sich das Raum-Zeit-Kontinuum in lustige bunte Linien und Punkte auflöst, während er in mehreren Zeiten zugleich existierte; wenn er aufgrund einer Begegnung mit seinen Antiteilchen in sämtliche Teilchen zerlegt, dann aber aufgrund einer Laune des rätselhaften Embryos namens „Großer Endkollaps“ einigermaßen korrekt wieder zusammengesetzt würde und schließlich in einem teils klassizistisch, teils im Renaissance-Stil eingerichteten Zimmer ankäme, das es nur gibt, weil die Unordnung in der gleichen Zeitrichtung zunimmt, in der sich das Universum ausdehnt; wenn er nach alldem noch Hungergefühl verspüren würde und, Bedingung zwei, seinen Kopf noch von seiner Kniescheibe unterscheiden könnte, würde er sich wahrscheinlich nach einer Weile sagen: schön, sehen wir mal, ob es hier etwas zu essen gibt.
    „Ich sage dir noch einmal: deine Liebe ist nicht von der Art, einfach so zu scheitern.“
    „Und ich sage dir noch einmal: wenn meine Liebe zufällig nicht das ist, was Leda ersehnt? Oder wenn sie für Leda zufällig nicht das ist, was ich ersehne? Die Pflicht, von der Rilke da redet, ist nicht die Pflicht, die an der Reihe ist, wenn alle anderen durch sind!“
    „Soll ich sagen, du tust Leda unrecht, oder soll ich sagen, du sprichst wirr, was ist dir genehm? Aljoscha, Lieber! Komm zu dir! Warum stellst du dir nie vor, wie Leda sogar bei ihrer Arbeit plötzlich lächelt, weil es dich gibt?“
    „Das ist der wahre Sinn des Falschen!“
    Aber Marja lehnte kategorisch ab, auf Aljoschas Gerede mehr zu geben als auf das abergläubische Gewäsch einbeiniger Seemänner oder die Prophezeiungen des Berauschten Bogumil. Vielleicht war es unmöglich, daß alle Stricke rissen. Vielleicht war das Leben nur launisch. Vielleicht befindet es sich gelegentlich in halsstarriger Opposition zu der Vorstellung, daß man es an Unbestreitbares hängen kann wie an einen Kleiderbügel. Als könnte man die Geschicke mit einem Rechenschieberplanen, der statt Logarithmen die zwingende Kausalität aller Vorgänge und Zwischenfälle anzeigt und emotionale oder ethische Kalkulationen statt trigonometrischer Funktionen. Menschen haben die überraschende Tendenz, viel dafür zu tun, daß man vom Leben nicht mehr überrascht wird. Aljoscha hatte viel dafür getan. Um sein Schicksal zu informieren über die Liebe zu seinem Schicksal. Um Leda sagen zu können: dein kleines Mädchen, das singend die Treppe hinabhüpft, gibt es schon. Die Farbe ihrer Augen, das Muster ihres Kleidchens, den Namen ihrer Puppe gibt es schon. Sie muß nur noch kommen.
    Und wenn viel getan zu haben nicht genug war?
    Das Leben ist nur launisch.
    Und Marja sagte: „Die Sekunden schleichen noch mit Blei beladen aus der Gegenwart, aber daß man mir

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