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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Delikt, Ausschreitung, Gesetzwidrigkeit, Impertinenz, Insubordination, Versündigung, Tumult, Krawall, Ketzerei, Schisma, Avignon, Subversion und Putsch. Vielmehr, sie waren es nicht. Aljoscha channelte sich weit hinein in den Begriff „Gedankenfreiheit“. Dort galten die Worte des Alten vom Berge, des Oberhauptes der Assassinen (Hashishim): Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Nichts Wirkliches hält, nichts hält wirklich. Wären die Aktivitäten der Gedankenfreiheit plötzlich sichtbar, wir würden allesamt aus dem Verkehr gezogen. Vielmehr, wir würden es nicht. Aber als Gedankenfreier wird der Teufel Gott, Gott wird Teufel, der Besonnene wird zum Libertin, der Buchhalter zum Bonaparte, der Ehrbare zum Schurken, der Gefangene zum Kerkermeister, der Mann zur Frau, der Moralist zum Amokläufer, der Mönch zum Familienvater, der Hampelmann zum Erlöser. Gedankenfreiheit macht die Nachtruhe zum Bacchanal, den Mond zum Käse und die Sphinx zur Lächelnden. Gedankenfreiheit macht, daß die mysteriösen Schönen für Momente ihre Träumer ansehen wie nach einem Kuß. Der Beginn der Übungen fror Aljoschas Gedankenfreiheit ein, kurz, bevor er in ihr diabolisch wurde.
    Nach der Yoga-Stunde fuhr Leda ihn nach Hause. Und fuhr nach Hause. Aljoscha fuhr zur Hölle. Und fuhrwerkte mißmutig an MariaMagdalena herum. Und war kurz davor, das Bild mit seinem schwarzen Grimm zu überziehen, als Marja anrief. Von jener Milde erfüllt, wie sie sich nach großem Unglück manchmal einstellt, als wäre die Seele ein Organ, das plötzlich eine lindernde Substanz produziert. Eine schmachvolle Begegnung mit Pjotr lag hinter ihr, und sie sprach davon, wie der Ruin zwar seinen Lauf nahm jetzt, wie es ihr zuweilen aber auch gelang, aus ihrem Alptraum auszusteigen, wenigstens für kurze Phasen.
    „Nur Pjotr“, sagte sie, „kann ich nie so gegenübertreten, wie ich es mir vornehme. Die Leute sagen, es wird besser gehen von Mal zu Mal. Aber wissen sie denn, was es heißt, so restlos gescheitert zu sein? Jetzt mache ich Pläne nur für mich… weißt du, daß ich das noch nie getan habe? Es könnte beinahe schön sein. Aber das Scheitern ist mein böser Hüter. Wohin ich auch gehe, überall nickt mir mein Scheitern zu. Ich müßte lernen, es zu überlisten – weißt du, wie? Nein, woher… du kennst das Scheitern nicht.“
    Rilke sagte einmal, einen Menschen zu lieben, das ist die schwierigste all unserer Pflichten, die höchste Prüfung und das Werk, zu dem jedes andere Werk nur Vorbereitung ist. Seit die Heroine Patti Smith diesen Satz auf eine ihrer Langspielplatten hatte drucken lassen, konnte man ihn als Manifest betrachten. Kühle Antwort auf jeden Versuch, Liebe und das Werk der Liebenden zu banalisieren und zu bagatellisieren, kursierte dieser Ausspruch im Untergrund einfach als „der Satz von Rilke“. Natürlich kannte Marja „den Satz“.
    „Vielleicht steht das Scheitern auch vor meiner Tür“, sagte Aljoscha. „Vielleicht steht es da und horcht.“
    „Was sollte es da hören?“
    „Das Husten und Keuchen einer Schwindsüchtigen, die weiß, daß sie sich vom Glanz vergangener Tage trennen muß.“
    „Von wem sprichst du?“
    „Von der Liebe. Und ihrem angegriffenen Zustand.“
    „Das glaube ich niemals.“
    „Ich meine, vielleicht ist die schwierigste aller Pflichten ganz leicht. Bloß ich bin zu schwierig.“
    „Nochmals, wovon sprichst du eigentlich?“
    „Das Werk, zu dem alles andere nur Vorbereitung ist… muß der Wille dazu nicht allem anderen übergeordnet sein?“
    „Nun ja, durchaus! Und?“
    „Aber der Wille kann noch lange wollen, was schon längst nicht mehr zu retten ist. Es soll leuchten und strahlen, dabei spuckt es schon Blut ins Taschentuch.“
    „Ach, Theorie. Was soll uns das? Ich weiß um deine Art von Liebe, Aljoscha.“
    „Ah ja? Was weißt du?“
    „Ich kenne sie als eine geradezu hochmütige Demut vor dem, was sie sich freiwillig als ihre Pflicht gegeben hat. Wie sollte sie scheitern?“
    „Es könnte sein, daß meine Liebe nicht ausreicht. Daß sie dem nicht genügt, was Leda sich wünscht.“
    „Was ist denn das für ein Spleen! Mit welchem Recht maßt du dir an, Ledas Wünsche zu verleumden und dich selbst dazu?“
    „Eines Tages finde ich mich bei einem Wanderzirkus wieder, weil ich die schwierigste aller Pflichten nicht erfüllen konnte. Ganz gleich, was ich versuchte.“
    „Ich verstehe dich nicht, Aljoscha! Das sagst du ? Du hast mir noch keinen Brief geschickt, der nicht mit

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