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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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es ist eine Person! Weißt du nicht mehr, wie ich zu Bronja sagte, daß ich wahrscheinlich noch im Traum sehr konkret bin?“
    „Doch, schon…“
    „Siehst du! Diese Karten waren mir von Anfang an unheimlich! Sie sagen, daß du genug davon hast, daß ich so eine materielle Angelegenheit bin!“
    „Wieso, nein, das ist doch völlig – “
    „Und daß ich immer so sachlich und realistisch bin! Da zieht dieser Mann aus beinahe hundert Karten genau die eine, die – “
    „Es sind nur 78!“
    „Wie schön! Es sind nur 78!“
    „Es könnte doch auch sein, daß diese Königin eine Person bedeutet, die an ganz bestimmten Orten präsent ist… leibhaftig… und über bestimmte Orte regiert…“
    „Das wäre ja immerhin ein Trost!“
    „Warum?“
    „Weil wir vorhin davon gesprochen haben, eine Wohnung zu suchen.“
    Klare Antwort in A-Dur.
    Aber Aljoscha hatte einen anderen Verdacht. Er sah in dieser Königin die heimliche Herrscherin des Sichtbaren – oder die sichtbare Herrscherin des Heimlichen. Und in den Texten eines des Besseren Belehrten fand er diese Königin, die Queen of Pentacles, beschrieben mit den Worten: Sie repräsentiert Passivität, gewöhnlich in ihrer höchsten Erscheinungsform. Sie ist auf eine verschwiegene und unvermutete Art wollüstig und sogar ausschweifend. Es scheint, als ob sie ihre grundlegende Glückseligkeit nur dann verwirklichen kann, wenn sie außerhalb ihrer selbst ist.
    Was sollte dieser letzte Satz bedeuten? Daß diese Königin Glückseligkeit nur findet, wenn sie außer sich ist? Wenn sie in einem anderen Selbst aufgeht? Oder wenn sie ihr eigenes Selbst zerreißt wie eine Hülle in einer unvermuteten Metamorphose, und ein wollüstiger und sogar ausschweifender Laut verurteilt zu hundert Rätseln und einer Gewißheit?
    Würde es klingen wie ein Fauchen?
    Passivität in ihrer höchsten Erscheinungsform. Was auch immer am 29. April in sein Leben eingedrungen war – es zeigte sich als die Aktivität vollkommener Passivität. Es zeigte sich als Katzenmenschenfrau. Vernichtung einer klaren Antwort in D-Dur.
    Der sechste Tag, Montag, verlief mit viel Geknirsch, um schließlich zu zerbröseln in einer Vorlesung zu Kant, Immanuel. Was war es denn mit Kant? Kant erklärte, warum unsere Erfahrungen möglich sind und warum gewisse Erfahrungen darum niemals möglich sind. Kant erklärte, daß etwas nicht deshalb der Fall sein soll, weil es der Fall ist, und daß etwas nicht deshalb gewollt werden soll, weil es Wollust bereitet. Sie nannten ihn „Alleszermalmer“. Er zermalmte Senf zu jeder Speise. Aber was war es denn mit Kant? Kant erklärte, daß der Mensch ein ganz bestimmtes Bild von der Welt hat, das eben deshalb falsch ist, weil der Mensch einen ganz bestimmten Apparat zur Wahrnehmung der Welt hat. Kant erklärte, daß alles kosmische Geschehen nach Gesetzen geschieht, die in der Materie selbst begründet liegen.
    Derweil geschah alles Kantische Geschehen nach Gesetzen, die er minuziös geregelt hatte. Kant war ein so präziser Spaziergänger, daß die Königsberger ihre Uhren nach ihm stellten. Welch immense Verantwortung. Hätte Kant nur einmal nach Hause zurückeilen müssen, weil er seinen Stock vergessen hatte, wäre die Zeit aus den Fugen geraten. Man hätte Immanuel Kant vor dem Fenster gesehen und sich gesagt, potzblitz, die Uhr geht vor, weil Kant um 17Uhr 34 erschien; da man aber wußte, daß Immanuel Kant jeden Abend um 17Uhr 33 am Fenster vorbeigeht, hätte man den Zeiger von 34 auf 33 zurückgedreht. Wenn Kant am nächsten Tag pünktlich um 17Uhr 33 erschienen wäre, hätte die Uhr aber erst 17Uhr 32 gezeigt. Man hätte zu seiner Frau gesagt, potzblitz, Charlotte, gestern habe ich am Zeiger der Uhr gedreht, und jetzt braucht er für 24 Stunden ja 24 Stunden und 1 Minute. Und Charlotte hätte gesagt, ach Wilhelm, du bist immer so ungeschickt.
    Kant hat keine zwei Füße aus der Stadt heraus gesetzt und witterte in jeder Veränderung den Winter eines Mißvergnügens. Das denkende Immunsystem namens Immanuel hielt sich, leicht vorgebeugt vor lauter Vorbeugung, weitab jeder Erschütterung durch die freien Radikale des Unvorhersehbaren.
    Aber was war es denn mit Kant? Der Alleszermalmer hat selbst Goethe zermalmt. Einige vermeintlich wohlwollende Bemerkungen desGeheimrats über ein Buch von Kant legen den Verdacht nahe, daß er bei der Lektüre eingeschlafen ist. Kant, der moralische „Drakon“ (Schiller) hatte, und das war es mit Kant, eine entschiedene Pflichtethik

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