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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Schreibmaschine mit entsprechenden Typen. Auf dem Flohmarkt kaufte ich, weiß der Himmel warum, eine spanische Maschine, jedes Typenhämmerchen dreigeteilt. Ich würde sie gern eintauschen gegen eine Maschine mit deutscher Schrift.

Nartum
Di 6. Juni 1989
    Bild: Peking/Jetzt schießen sie auf alles/Schwangere, Kinder, Radfahrer
    ND: Beziehungen DDR - Frankreich entwickeln sich erfolgreich
     
    Heute ging ich in die Küche und schlug Hildegard vor, mit mir gemeinsam«panierten Schinken»zu machen. Das kam schief an. Ich wurde hinausgeschoben, ja - geschubst!
    1999: Erst der Meisterkoch Lafer hat es mir bestätigt, daß panierter Schinken hervorragend schmeckt. Klopfschinken müsse man dazu nehmen.
     
    Erschöpft aufgewacht. Im Radio der Radetzkymarsch. Es rührte mich, daß das Publikum den Rhythmus mitklatschte, bei den Piano-Stellen damit jedoch aufhörte. Das hatte was von sich freuenden Kindern. Natürlich freuten sie sich nicht über den Marsch, sondern über ihr eigenes Klatschen.
    Der Kampf gegen die Fliegen intensiviert sich. Was nützt das hermetische Abschließen der Fenster durch Drahtplatten, wenn sämtliche Türen offenstehen?
    M/B: Ich taste mich vorwärts. Der Spaziergang an der Elbe. Ich brachte allerhand Zeitkritisches zur Sprache, was den sauberen Kritikern nicht gefallen wird.
    Noch ein Sieg des Kommunismus: Peking. Das ist wohl ein sogenannter«Pyrrhus-Sieg»? Wie alle sogenannten Siege des Kommunismus.
    Am Morgen wollte ich mich eigentlich erholen, mal etwas zu mir kommen, relaxen, wie man das nennt, da kam Hildegards Kinderkreis, sieben Mütter mit mehr oder minder entzückenden Kleinkindern. Ich konnte nicht widerstehen und fotografierte erheblich. Die weichen, runden Wangen. Es war wunderbar. Später dann auch mit der Videokamera das gemeinschaftliche Krabbeln. Die kleinen Lustschreie. Sie fassen sich gegenseitig an die
Nase und ans Ohr. - Ohne Kinder, ohne Tiere wird das Leben halbiert. Während ich hier sitze und schreibe, sehe ich mir die Hühner an. Ein kleines braunes wird von den andern gepickt, leider. Tür aufreißen und rufen:«Willst du wohl!!»nützt nichts.«Vor den Toren Nankings sind Truppen aufmarschiert»(FAZ). Vogel trauert (in seinen Telegrammen) um soviele Jungen und Mädchen, die ihr Leben noch vor sich hatten. - Die festgenommenen Studenten in China müssen den Kopf gesenkt halten als Zeichen der Unterwerfung. Dazu das Kopfaufwerfen der Rotarmisten bei Paraden. Waffen-SS pflegte stier geradeaus zu gukken. Gasunglück in der SU: Als der Druck der Leitung abfiel, hat der Ingenieur den Hahn einfach aufgedreht! Die Bahnstation Ascha sei zu einem Begriff«schieren Entsetzens»geworden (FAZ).
    TV: Ein sonderbarer Tennisspieler, ein Chinese, der den absolut Erledigten spielte und gegen Ivan Lendl stöhnend und ächzend gewinnt. Lendl war völlig durcheinander. Steffi Graf:«Den hätte ich mir geschnappt.»Ich danke dem Mann eine unterhaltsame Stunde.
    Schöner Blumenstrauß von Hildegard: 11,50 DM. (Rechnung ging an mich.)
    Bei Handke («Das Gewicht der Welt») Radiolarien gefunden:
    Die jungen Blätter, von der Sonne durchschienen und ab und zu bewegen sich die Schatten anderer Blätter darauf.
    Die alte Frau entschuldigt sich beim Fahrer, daß sie in seinen, den für sie falschen Bus gestiegen ist.
    Ein Kahn fährt vorbei mit Sandhaufen, und auf einem Sandhaufen steht unbeweglich ein Schäferhund.

Nartum
Mi 7. Juni 1989
    Bild: Blutiges China/Soldaten töten im Rausch/Armee verteilt Drogen/Deng tot?/Li Peng angeschossen/Studenten schreien:
«Helft uns»/Ab heute Kirchentag in Berlin/250 000 beten auf dem Ku’damm
    ND: Erich Honecker empfing Vertreter von Bruderparteien der RGW-Länder
     
    Langes Telefongespräch mit Paeschke, weil wieder die Chronik nicht richtig dargestellt ist. Unbefriedigend. Unhaltbar, wenn Bittel nicht dawäre.
    Lesung in Hetlingen bei Wedel:«750 Jahre Hetlingen».
    Im Feuerwehrraum. - Vorher beim Veranstalter eine Tasse Kaffee, einem Lehrer, in einem Glashaus ohne Pflanzen, irgendwie zu groß, das ganze. Ich dachte an mein Palmenhaus. Der Deich liegt direkt hinter seinem Haus. 1978 ist er gebrochen. Besonders viel süddeutsche TV-Teams seien damals gekommen, um das Unglück zu filmen, erzählte der Veranstalter. Wieso er ausgerechnet hinterm Deich wohnt, wurde er gefragt, das konnten sie nicht verstehen. - Eine kesse Blondine fragte mich, ob wir nicht mal zusammen segeln wollten? - Ja, wenn meine Frau mitdarf … hab ich gesagt. - Eine Halbwüchsige

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