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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sie schon bei 100 Leuten waren, die alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben:«Bloß das nicht!»
    Medien-Dauerbrenner ist das Thema: Historisches Museum in Berlin. Man ist«in», wenn man dagegen ist. Wer dafür ist, muß ja wohl komplett schwachsinnig sein. Ein Museum für die deutsche Geschichte? - Sie stellen sich die deutsche Geschichte wie ein Beinhaus vor. - In Bezug auf das Museum wird bemängelt, daß soviel Geld für Kultur ausgegeben wird. Sonst jammern sie doch immer über das Gegenteil!
    Wackersdorf, das ist ja nun wirklich schon fast komisch. Diese gewaltigen Pleiten. - Den von Schmidt noch initiierten Main-Donau-Kanal hat die arme Kohl-Regierung ja auch noch mit zu verkraften. - Viel unangenehmer als der sanguinische Kohl ist ja der verklemmte Vogel. Immer diese studienrätlichen Entrüstungen. Aber noch viel schlimmer ist es, wenn er zustimmt zu irgendwas. Als ob er das letzte Wort hat.
    Frau Bush, die Herrn Thatcher die Hand küßt. Eine großartige Frau, die Thatcher. So eine Art Schulrätin.

    Komme mit der Mozart-Sonate ganz gut weiter. Interessant die Klötzchen, die er nebeneinanderlegt, von einer musikalischer Zelle gleitet er in die nächste, alle ganz verschieden und doch zusammenpassend. Naja.
    Die kleinen Enten neulich in Bremen. Die ferngelenkten Segelschiffe der Erwachsenen-Kinder dazwischenhin. Ein Seenotkreuzer mit Tonbandsirene innendrin. Die Leute sparen übrigens an Batterien, sie geben immer nur kurz Gas, und dann gucken sie sich gegenseitig an, wie toll das ist. - Ein Junge sagte zu seiner Mutter, ob sie diesen Hebel an seiner Fernbedienung mal eben drückt?«Ja, kann ich machen.»In der Ferne weiß das Parkhotel, wie es sich im Wasser spiegelt, wo all’ die feinen Leute Spargel essen.
    Luft sein für jemanden - wie angenehm.
    Dorfroman: Renate amüsierte sich darüber, daß die Vögel verschieden laufen, die Krähen latschen, die Spatzen hüpfen usw. Machte es nach.
    Gurkengemüse mit Specksoße.
    Dorfroman: Draußen Lärm von Halbstarken, die anscheinend im Moor Birken fällen. Eine widerliche Unsitte. Sie fahren in dieser schönen Nacht mit Autos vorbei, laute Rockmusik und Gröhlen. Das hat was mit Pfingsten zu tun.
    Mendelssohn, I. Quartett.
    Tagesschau, Themen:
    Sanitätsoffiziere
Schwestern-Tarife (Pflegepersonal)
Peking, die Freiheits-Gipsfigur auf dem Platz des
Himmlischen Friedens
Ladenschlußscheiße
    (Ich denke an New York, wie schön war es, als ich mit meinen Zahnschmerzen morgens um 5 Uhr in den kleinen Laden nebenan gehen - vis-à-vis von dem Lokal, in dem der Scheidungsfilm«Cramer gegen Cramer»spielte - und mir einen Kaffee machen lassen konnte. Der Mann sagte, er arbeite nur nachts.)

    Langes Gespräch Bressers mit einem ungarischen Funktionär wegen des Stacheldrahts, der abgenommen wird. - Aufregend!
     
    In Moskau redete Sacharow vor dem Parlament gegen die Afghanistan-Sache. Er wurde niedergeschrieen, konnte sich kaum verständlich machen. Gorbatschow entzog ihm das Wort: Es reicht jetzt, er soll endlich den Sabbel halten … so in dem Stil. Gorbatschow saß über ihm, mit der Klingel in der Hand und grinste über das, was er da hörte.
     
    Im Anschluß an die Tagesschau sonderbare Wahl-Propagandasendungen von sonderbaren Parteien, die alle an den Trog wollen. Deren Argumente spielen überhaupt keine Rolle in der öffentlichen Diskussion. So ganz unvernünftig sind sie übrigens nicht.
     
    TV: Ein schlechter Film mit Krauss und Moser. Das ist alles so unglaublich weit weg. 1936 gedreht.«Burgtheater». Musik von Peter Kreuder! - Im Ost-Berliner Schauspielhaus die Philharmoniker, anrührend, obwohl diese Konzertschnulzen kaum noch zu ertragen sind. Siegfried-Idyll, Don Juan, 7. Symphonie von Beethoven. - Die idiotischen Grimassen des Dirigenten, als müsse er den Gehalt der Kompositionen irgendwie ins Gemüt transponieren und den Musikern, die er offenbar für schwachsinnig hält, interpretieren. Das muß denen doch zum Hals hinaushängen. Ich würde ihm die Zunge rausstrecken, wenn sich’s gerade mal machen läßt. Oder extra falsch blasen. - Als Chorleiter habe ich damals übrigens auch grimassiert, wenn ich mich nicht grade mal entschlossen hatte, einen Don-Kosaken-Chor vor mir zu sehen.
    Hildegard:«Eitel sind sie alle, ohne Eitelkeit geht es nicht, aber wenn man Spaß hat, dann grimassiert man eben.»
    Das Konzert«sah»ich mir aber doch gänzlich an, wegen der Wiedervereinigung. Diese armen Leute da drüben und die Proleten-Regierung,

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