Alkor - Tagebuch 1989
von Männern angesprochen. Die dächten, sie wäre eine Hure. Sie rief an, ob sie mich mal sprechen könnte. Da sei aber ein Haken: Sie sei schwarz. Nette, intelligente Frau. Vater Apotheker. Ich riet ihr, ihre Ghana-Erinnerungen aufzuschreiben und die Erlebnisse, die sie hier in Deutschland hat, aber das tat sie nicht, sie schrieb statt dessen einen Kriminalroman, von dem ich nie wieder etwas hörte. - Schade.
Sie bezeichnete sich selbst übrigens als«Negerin». Da kenn’ sich einer aus. Sollte ich ihr das untersagen? Die Schwarz-Afrikaner bezeichneten sich selber als Neger, sagte sie. In Amerika dürfe man das Wort allerdings nicht verwenden. - Merkwürdig zu sagen, aber ich hatte zuvor noch niemals mit einem«Neger»zu tun gehabt.
Im Brockhaus von 1835 steht zu lesen:
Neger ist der gemeinsame Name der durch schwarze Färbung der sammtartig weichen, fettig anzufühlenden Haut, schwarzes, wolliges Haar, platten Schädel, vorstehende Backenknochen und aufgeworfene Lippen ausgezeichneten Bevölkerung des mittleren und nordwestlichen Afrika … Neugeborene Negerkinder sind gelblichweiß, und blos an einzelnen Stellen des Körpers, z. B. um die Brustwarzen und Augen und an den Rändern der Nägel schwarz, nehmen aber diese Farbe zwischen dem dritten und sechsten Tage allmählich am ganzen Körper an.
Arbeit an«Sirius», kurze Biogr.-Einschübe zur zeitlichen Vertiefung und«Vernetzung».
Nartum
Do 29. Juni 1989
Bild: Bonner Damen entrüstet über Strauß-Geliebte / Frau Piller, Sie sind unanständig!
ND: Treffen Erich Honeckers mit Michail Gorbatschow in Moskau
Peter und Paul: Petrus wurde für seinen Glauben gekreuzigt, Paulus enthauptet. Die Stelle in der«Johannespassion»:«… und weinete …»
1999: Ich hörte die«Johannespassion»zum ersten Mal in Moskau, und da weinete ich auch.
Mit Paulus habe ich nie was anfangen können. Dieser Eiferer war mir immer zuwider. - Das Gemälde von Dürer, von einem Wahnsinnigen mit Säure attackiert.
Depression mit unangenehmen Selbstzweifeln, also an sich eine gesunde Sache. Es wirkt noch nach, daß selbst von meinen besten Freunden die«Hundstage»mißverstanden wurden. Gestern nacht las ich nochmal einige Passagen, und ich verstehe nicht, was es da so Anrüchiges auf mich zu übertragen gibt. Das Ehepaar Davis ist der einzige Halt und, sonderbarerweise, Paeschke, der mir damals doch sehr imponiert hat mit seinem klaren Urteil. Die Davis meinten, mein Humor sei angelsächsisch,«schwarz»also. - Ganz schlimm ist es natürlich, daß Sowtschick von«Sozialfall»spricht, ein solches Wort! Darüber darf man doch nicht lachen, das ist doch nicht komisch. Meine Güte, wenn ich denke, wie viele Bettlerwitze es gegeben hat oder sogar Blinden- und Taubenwitze. Und die Ostfriesen! Was die auszuhalten hatten! Nicht zu vergessen die«Zwergschullehrer». Manchmal meine ich noch heute die Verachtung zu spüren, wenn ich sage: Ich bin Lehrer auf dem Lande.
TV: Weizsäcker, eine Stunde im Gespräch mit Journalisten. Er hat etwas Listiges in seinem Blick. Der DDR-Fritze hatte die Stirn, nach Berufsverboten in der Bundesrepublik zu fragen.
Vom Studierverbot für Kapitalistenkinder nie was gehört? - W. bezeichnete die Republikaner als Protestwähler. Er sagte zu Recht und sehr mutig, daß diese Leute mit den Nazis nichts zu tun haben. Ein anderer sagte, er sei erschüttert, daß die Jugend:«Ausländer raus!»rufe. - W.: Nun, es gibt auch andere Jugendliche, Kirchentag usw., und es sei eben das Vorrecht der Jugend, ab und zu was Dummes zu tun. Alles sehr klug, manchmal leichte mimische Entgleisungen, Grimassierungen, auch streckte er die Beine von sich, sitzend in seinem schönen Palais.
Heute Nachmittag hörte ich mir das«Stabat Mater»von Dvořák an und räumte dabei meinen Schreibtisch auf. Uralt-Funde! Tschechow, Erzählungen.
«In der Halle sitzt ein Huhn. Ist das richtig?»wurde ich eben von einer Journalistin gefragt. - Journalisten, die zu mir kommen, stellen absolut immer dieselben Fragen, und niemand hat ein Buch von mir gelesen.«Angelesen»manchmal. Das ist schon viel.
Am Abend hatte ich zwei Doppel-Vorlesungen in Oldenburg. - Wenn ich im Deutschen nicht meine kleine Gemeinde hätte - nur ein einziger Student, das andere alles ältere Herrschaften aus der Stadt -, dann sähe es schlimm aus. Das Desinteresse der Hochschule an mir ist schon fast komisch. Neulich hat mich mal ein Germanist angesprochen, auf dem Parkplatz, es wäre doch eigentlich schade
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