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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Megären, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte. Diese Art Damen sieht man auch beim Handball. Das ruppige Wegstoßen. Der männliche Schiedsrichter unter lauter Damen. Der süße Schweißgeruch. - Beim Rasenhockey fällt einem das nicht so auf. Ein angenehmer Sport übrigens, man sieht ihn selten. - Das gebückte Laufen ist sicher nicht gesund. Diese Sportlerinnen belasten ohne Zweifel die Ortskrankenkassen bis an die Grenzen des Erträglichen. In REHA-Zentren begegnet man ihnen. - Eis-Kunstlauf. - Eistanz = Kitsch in Hochpotenz. Müßte verboten werden. - Gegen Wettlaufen ist nichts einzuwenden, aber Hochsprung! Wie das die Figur ruiniert. Diese Strichmenschen. Tennis - höchst angenehm, jedenfalls solange wir Steffi haben.
    Zwei australische Mädchen hier zu Besuch: Eine Nichte und ihre Freundin; letztere mit geheimnisvoller australischer Fieberkrankheit, die unheilbar ist, hoffentlich krieg’ ich die nicht, gehe schon immer aufs andere Klo. - Belebend. Man kann gelegentlich mit ihnen scherzen. Eine gewisse, für junge Mädchen typische Leere und Uninteressiertheit. Sie leben erst auf, wenn man sie«von der Seite»anspricht. - Die eine hat zwölf Jahre Cello gespielt und hämmert hier jetzt irgendwie auf dem Klavier herum. Da sagt man sich: Gut, daß sie mit dem Cello aufgehört hat. Ich machte ein paar Fotos, wie Hildegard und die Mädchen eine Maus zu fangen suchten und auch wirklich fingen, in einem Pappkarton, und dann nach draußen trugen.
    Die Schwiegermutter ist wieder mal da, sie redete beim Fernsehen dazwischen. Wie soll man sich verhalten? Kann man doch nicht sagen: Du hör’ mal, ich brauche das von Berufs wegen? Wenn man Dick und Doof guckt? - Ich drehe leiser und gehe in die Halle zum Zweitgerät. Nach kurzer Zeit erscheint sie dort und setzt sich neben mich, ich drehe lauter und gehe nach kurzer Zeit wieder hinüber. Und schon kommt sie hinterher. So geht das immer hin und her. Eine merkwürdige Art fernzusehen.
    Ladenschlußzeiten, darum geht es. Daß die Verkäuferinnen sich
nicht hinsetzen dürfen, ist aber auch wirklich unverständlich. Denen könnte man doch Barhocker hinstellen? Tschechow-Briefe:
    Auf dem Amurdampfer fuhr mit mir ein Gefangener mit Ketten an den Füßen nach Sachalin, er hatte seine Frau ermordet. Bei ihm befand sich seine Tochter, ein Mädchen von etwa sechs Jahren. Ich bemerkte, wie der Vater sich vom Oberdeck nach unten begab, wo sich die Toilette befand; hinter ihm gingen die Wärter und die Tochter; dann saß er auf der Toilette, ein Soldat mit dem Gewehr und das Mädchen standen an der Tür. Als der Gefangene auf dem Rückweg wieder die Treppe hinaufkletterte, ging das Mädchen hinter ihm und hielt sich an seinen Ketten fest. Nachts schlief das Kind zusammen mit Gefangenem und Soldaten.
    Solschenizyns«Gulag»soll jetzt in großer Auflage in der SU erscheinen. Vielleicht lesen unsere Linken dann das Buch ja auch einmal. Viele haben es gelesen und sofort vergessen. Möglicherweise wird es mit dem«Echolot»auch so gehen?
    Hark Bohm rief heute an, das ZDF sei nicht interessiert an der weiteren Verfilmung meiner Romane. Fechner habe ihnen gesagt, da sei nichts mehr drin. - Das nimmt man so hin, ohne zu zucken.
    Der Abend ging damit hin, daß ich mir das«Magnificat»von Bach anhörte, kann nicht gerade sagen, daß es mich ins Herze traf. Neben dem Ungeheuerlichen, das die Diener der Kirche in 20 Jahrhunderten der Menschheit angetan haben, steht das Großartige, das das Christentum hervorbrachte. Die Kathedralen fallen einem zuerst ein, die gedruckten Predigten zuletzt. An den Universitäten müßte es analog zur vergleichenden Sprachenkunde ein Generalfach geben, in dem die aus der Schrift erwachsenen Sublimierungen aufgezeigt werden in allen Verästelungen: Baukunst, Malerei, Dichtung… - Im obigen Fall also vom Studium der Lukas-Stelle ausgehend auch die unterschiedlichsten Darstellungen und Vertonungen. Ein übergreifendes theologisches Studium. Gibt es so was? Die Kirchenmusiker und die Kunsthistoriker erfahren ja immer nur eine Seite, von den Theologen ganz zu schweigen. Schlaue Schulmeister gibt es, die
vom Bildinterpretieren auf Bibelexegese kommen. Kaum vorstellbar, daß einer Kunstgeschichte studiert, ohne die Heilige Schrift je gelesen zu haben. Und doch ist das heute wohl die Regel. - Gibt viele Künstler, die sich an die Kirche hängen, die Kirchenmusik der Nachkriegszeit, nicht gerade 5. Evangelisten, aber doch partiell weiterbringend die gute Sache.

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