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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Schweitzer von Salis Samate. Jetzt fielen sie auf den Gouverneur ein. Einer von der Garde françoise packte ihn zuerst. Er wurde sogleich von dem Volk mit einem Orden behangen. Sie führten ihn nebst noch einem Vorgesetzten der Bastille, dem Inspecteur über Pulver und Salpeter, einigen Invaliden, die Feuer gegeben hatten, dem Guichetier in Triumph auf den Place de Greve. Hier kamen sie schon zum Teil halbtot an. Man hängte sie da vollends oder schluge ihnen die Köpfe herunter; der nächste beste, der einen Säbel [hatte], verrichtete dieses auf dem Pflaster ohne alle Umstände.

Nartum
Sa 15. Juli 1989
    Bild: Trainer-Frau stellt Ultimatum / Scheidung - oder Schluß mit Steffi
    ND: Volle Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Bukarest
     
    Auch der Amerikaner ist jetzt abgefahren. Wir hatten ihm ein Auto gemietet (damit wir ihn los sind), für sechs Tage: 342 Mark! Wenn das nicht der Völkerverständigung dient? Lehrer will er werden. Diese Leute müssen sich sehr schinden. Kriegen in den Ferien kein Geld. Dagegen bei uns, die Faulsäcke! Fahren zweimal pro Jahr auf Urlaub, dazu«Kur»wegen der Nerven. Auch Fortbildung im Odenwald. - Deutsche Lehrer im Ausland bekommen doppeltes Gehalt. Sie gehen für einige Jahre nach Brasilien, stellen ihre Möbel auf den Speicher, und wenn sie wiederkommen, wartet hier ein hübsches Vermögen auf sie. - Ansonsten
ist das Gehalt eines Landlehrers nicht gerade für größere Sprünge geeignet.
    Nun sind wir allein und können unsere Ehearbeit wiederaufnehmen wie am Klöppelkissen. Auch mal’n Volkslied singen gemeinsam, am Klavier?

Nartum
So 16. Juli 1989
    Welt am Sonntag: Neue Streiks in Sibirien und auch in Stalingrad /Sowjetische Arbeiter kämpfen um mehr Geld, Lebensmittel und bessere Trinkwasserversorgung
    Sonntag: Aufklärer, Rebell und Realist. Adam Scharrer 7 zum 100. Geburtstag. Von Irmfried Hiebel
     
    Reisen! So sehr mir die Lesereisen zum Halse raushängen … (das Lesen selbst übrigens nicht): nach Oberitalien, Padua, Ravenna, Pisa möchte ich wohl gerne mal fahren. Ich werde das nie schaffen. Und von dort hat mir noch nie eine Dame Applaus gespendet. In die Villa Massimo bin ich auch noch nicht eingeladen worden. Das ist was für die 68er. Da stört unsereiner.
    Die Heimat = der Mutterleib.
    Fernweh = die Sehnsucht nach dem Zirkelschlag, der das Paradies mit dem Himmel verbindet.
    Heimat hat es so nie gegeben, erst Erinnerung baut sie auf.
    Friedenthal«Goethe».
    Noch zu den beiden Mädchen aus Australien, daß sie sich für nichts interessierten. Und wir? Was wollen wir denn von den Australiern wissen? - Wir fragen sie deshalb nach nichts, weil sie selbst nichts wissen von Australien, das ist der Grund. Wenn ihnen ihr Land am Herzen läge, würden sie schon von selbst davon anfangen. Das Ganze liefe am Ende sowieso darauf hinaus,
daß man den armen Kindern wegen der Aborigines Vorwürfe machte. Hildegard beanstandete, daß sie beim Bügeln den Fernseher anmachten. Das fand ich meinerseits nun ganz flott. Auch daß sie sich meinen Strohhut aufsetzten, war zu akzeptieren. Lese in Wellershoffs Benn-Buch, daß Benn der Auffassung gewesen sei, der Dichter sei der Sprecher des kollektiven Unbewußten. Das Wort«Seher», das in diesem Zusammenhang fällt, schmeckt mir weniger.

Nartum
Mo 17. Juli 1989
    Bild: Er lag im Bett - Die Pupillen geweitet/Null-Linie auf dem EKG/Karajan/Der König ist tot
    ND: Vor 25 Jahren wurde der Grundstein gelegt /Halle-Neustadt spiegelt erfolgreiche Politik wider
     
    Büromaterial gekauft, Farbbänder, Umschläge, Ohropax, Etiketten: 69 Mark.
    In der«Quick»(Nr. 28) habe ich mich zu«40 Jahre Bundesrepublik»folgendermaßen geäußert:
    Diese arme, etwas dumme Republik ist meine Heimat.
    Ich gehöre zu den altmodischen Leuten, denen der Begriff Deutschland noch etwas bedeutet. Ich denke an 1943, an meinen Besuch in Breslau, das damals noch nicht zerstört war, an eine Ferienreise nach Königsberg im Jahre 1937 und daran, daß dies alles möglich war ohne Geldzwangsumtausch und Visum.
    Solange ich noch durfte, bin ich in die DDR gereist. Ich tat es, um das Gefühl nicht zu verlieren, daß Rostock, Güstrow oder Schwerin nach wie vor deutsche Städte sind. Um ehrlich zu sein, wenn es eines Tages wieder möglich wäre, nach drüben zu ziehen und ohne daß ich meine Staatsangehörigkeit wechseln müßte - ich bliebe hier. Die arme, etwas dumme Bundesrepublik ist meine Heimat geworden.
    Je älter ich werde, desto größer aber wird meine

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