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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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der 35-Stunden-Woche. Eine ganze Industrie ist entstanden, die den Leuten die Zeit vertreibt …
    Gegen Abend kamen Vetter Hartwig und Frau plus Kätelore. Alle redeten gleichzeitig. Erinnerungen an den Großvater und an Hamburg. - Kätelore traf ich vor Jahren mal mitten in Frankfurt auf der Straße, das war 1958, als ich mit Hildegard eine Radtour an die Mosel machte. Wenn wir ein solches Treffen geplant hätten, wäre es schiefgegangen. -«Die Welt ist ein Dorf», pflegt man in solchen Fällen zu sagen und hat damit das Phänomen im Griff. Über den Zufall. Dieses Phänomen ist mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung mathematisch berechenbar. Man müßte Beispiele sammeln! Vater und Sohn, wie sie sich im Felde zufällig treffen, oder - überhaupt im Krieg -: Tritt einer zur Seite, und da trifft’s den andern. Wie in dem Lied vom«Guten Kameraden», das niemand mehr singt.
    In Bautzen haben wir es ausprobiert, wie oft Rot und Schwarz im Roulette wechselt. Da gibt es Statistiken. Wenn eben Rot war, dann darf man natürlich nicht wieder auf Rot setzen usw. Bis zu sieben Mal kann dieselbe Farbe kommen. Dostojewski behauptet, Rot könne 20mal hintereinander kommen.
    Die Definition von Glück. Ist das Glück auch mathematisch errechenbar?
    Daß ausgerechnet Raddatz der«Pflegesohn»meines Gefängnispfarrers war? Kann man sich so etwas ausrechnen?
    Renate amüsierte sich darüber, daß die Vögel verschieden laufen, die Krähen latschen, die Spatzen hüpfen usw. Sie machte es
nach. - Mir gefällt es, wie die Rebhühner abstreichen, die Flügel nach unten gebogen. Das ratschende Geschrei, mit dem sie uns erschrecken, ist absolut überflüssig, sie sind ja schon weg! Rebhühner seien nicht zähmbar, heißt es. Warum sollte man auch. Die Urmenschen haben versucht, Bären zu domestizieren, haben ihnen bei vollem Bewußtsein die Zähne abgefeilt. Das Elend der Tanzbären. Überhaupt das Elend der stummen Kreatur. Wie die buddhistischen Affen halte ich Augen, Ohren, Mund zu, wenn ich davon höre.
    Unser Munterhund, die Hühner und die Katzen können von Glück sagen, daß sie bei uns gelandet sind.

Nartum
Do 24. August 1989
    Bild: Kampf mit Schäferhund/Köpcke schwer verletzt/Er wollte seinen kleinen Hund retten
    ND: Bauarbeiter wetteifern um Termintreue und Qualität
     
    Ich war mit dem Amerikaner in Cuxhaven, um ihm was zu zeigen von der Welt, wir tranken in der«Windrose»Kaffee: 40 Mark! - Ich horchte ihn nach Plankton aus und ergatterte einige Kostbarkeiten. Cuxhaven: Mit Fischernetzen drapierte Rettungsringe in den Schaufenstern, ausgeschüttete Muscheln, manche von ziemlicher Größe, Bernsteinmassen. Er fand alles wunderbar, und seinen Schließmuskel hatte er absolut unter Kontrolle. Ich zeigte ihm das Haus meiner Urgroßeltern, von dem ich allerdings nicht weiß, ob es wirklich das Haus ist. Er war trotzdem beeindruckt. Urgroßeltern, das ist für die Amis wohl kein Begriff. - Mein Cuxhaven-Urgroßvater war Arzt, in einer Nacht kriegte er einen tödlichen Schlaganfall, tastete nach seiner Frau und sagte:«Arme Emmi!»- Leider war von der Nordsee nichts zu sehen, es war in jeder Hinsicht Ebbe.

Nartum
Fr 25. August 1989
    Bild: Treibjagd auf DDR-Flüchtlinge/Schwarzer Tag an der Grenze/Soldaten schossen, prügelten, Kinder bluteten/Bei Funkausstellung: Momper Schwächeanfall
    ND: Springer-Meldung von A bis Z erfunden/Reiseverkehr nach Ungarn verläuft normal
     
    5 Uhr. - Sorge, ob nicht alle Projekte, die ich angefangen habe, Luftballons sind.«Sirius»noch am weitesten gediehen, inzwischen über 400 Seiten. Paeschke sagte, daß Farbbilder unmöglich sind, das sei zu teuer, ein spezielles Papier sei dazu nötig, dick wie ein Brett … Wie merkwürdig, daß es billige Tageszeitungen gibt, die gänzlich in Farbe aufgemacht sind.
    Telefonat mit Ulla Hahn. Wann ich ihr endlich die«Hundstage»schicke, will sie wissen. Ich habe von ihr noch kein einziges Buch geschickt bekommen.
    Hildegard sucht in der Schostakowitsch-Biographie nach’43erStellen für das«Echolot».
    Gestern schrieb ich den Vortrag über das«Echolot»für Berlin. War also gezwungen darüber nachzudenken und fand alles ganz in Ordnung. Man hat hinsichtlich irgendwelcher Buchpläne schon viele Absichtserklärungen zu hören bekommen, meine Absichten werde ich jedenfalls ausführen. Ich will nichts anfassen, was ich nicht vollenden kann.
     
    Film über eine Unterstützungsaktion der SPD durch prominente Autoren. Was sie damals sagten und ihre Ansichten

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