Alkor - Tagebuch 1989

sehen.
    Hildegard:«Irgendwann verschluckst du dich mal …»
    Im Fernsehen der ausgetrocknete Aral-See. Sie haben nicht einmal die Schiffe herausgeholt, vorher, die liegen auf der Seite und verrosten. Sie hätten sich doch denken können, daß das Dings austrocknet. 100 Kilometer ist das Wasser zurückgegangen, alles versalzt, keine Fische mehr usw. Die Umgestaltung der Natur in der Sowjetunion, davon schwärmte sogar der Pastor in Bautzen in seiner Predigt, daß das wunderbar sei. Die Flüsse, so war es geplant, sollten in umgekehrter Richtung fließen.
    Weiter in Schostakowitschs Memoiren, von denen sie sagen, daß sie gar nicht von ihm stammen.
     
    1999: Nun aber, daß sie doch von ihm stammen.

Nartum
Mo 28. August 1989
    Bild: Ibiza/Vater, Mutter, 2 Kinder/Füßchen im Bürgersteig/ Deutsche Familie in Beton - ermordet
    ND: 7 WM-Goldmedaillen für unsere Rennkanuten
     
    Eine Frau schreibt, ihr Mann sei ein Fan von mir, und nun werde es Zeit, daß er mich kennenlernt. Ob ich mal rumkomme?
    Leute, die in ihren Büchern Druckfehler verbessern. - Anstreichungen , das ist eine ganz andere Sache. Ich schreibe seit Jahren in jedes Buch hinten mein privates Register hinein.«Geblendet in Gaza», in diesem Roman von Huxley geht die Liste der Anstreichungen
über zwei Seiten hinweg. An den Roman selbst kann ich mich nicht mehr erinnern. Beispiel:
    Die Stimme klang besser denn je. Sie hatte jetzt eine schwache Heiserkeit gleich dem Reif auf einer Frucht, gleich dem leichten Dunst, durch den man an einem Sommertag die Kuppel der St. Pauls-Kathedrale von der Waterloo-Brücke erblickt. Das Dazwischenschieben dieses Vorhangs aus heiserem Mull schien gewissermaßen die Schönheiten der dahinterliegenden stimmlichen Landschaft zu vertiefen und zu bereichern.
    Nun ja. Der Vergleich mit dem Reif, der auf einer Frucht liegt, ist annehmbar. Dann aber verdirbt er alles.
    Es existiert ein Buch über Anstreichungen in Beethovens Bibliothek. Ich mag das ganz gern, wenn man in antiquarisch gekauften Büchern die Bemerkungen des Vor-Lesers mitgeliefert bekommt. Auch Widmungen ganz unbekannter Menschen. Oder Exlibris, die meistens kitschig sind. - Frage: Soll man die Schutzumschläge der Bücher in seiner Bibliothek abnehmen? Rameau:«Tamburin».

Nartum
Di 29. August 1989
    Bild: Es traf den Richtigen/DDR-Flüchtling gewinnt 1,7 Mio. im Lotto/Er ist 15 Jahre jünger/Mutter Drombusch heiratete ihren Zahnarzt
    ND: Im Wettbewerb zum XII. Parteitag der SED/Forschen für Höchsterträge zur Stärkung der Republik
     
    Vor 50 Jahren Kriegsanfang, das hat viele Menschen dazu angeregt, zu diesem Tag Artikel, Betrachtungen, Zusammenfassungen, Dokumentationen zu publizieren. Ich mache es umgekehrt, ich nehme die 50. Wiederkehr des Unbegreiflichen zum Anlaß, diese Zeit noch einmal auferstehen zu lassen, indem ich das Geraune von damals , im«Echolot»zu bewahren suche. - Vielleicht ist erst jetzt die Zeit dafür gekommen, die technischen Möglichkeiten,
die wir heute haben, gab es ja vor ein paar Jahren noch nicht. Ich weiß noch, welches Staunen Hardy Krüger erregte, als er sagte, daß er seine Bücher gleich in den Computer schreibt.«Promicheck»im Telefon, ich wurde gecheckt, was ich zum I. September zu sagen habe.«Markt und Straßen sind verlassen …»- still war’s damals, und meine Mutter sagte:«Nun geht das wieder mit den Lebensmittelkarten los.»- Für uns Kinder war die Nachricht eine rasch vorübergehende Sensation, wir spielten ruhig weiter. Erst als es keine Spielsoldaten mehr zu kaufen gab, merkten wir, daß es galt sich einzuschränken.
    Im übrigen war der Erste Weltkrieg noch sehr präsent. Jugendbücher über Trommelfeuer kriegten wir zu lesen, und dann gab es auch eine Zigarettenbilder-Serie. Die Mutter hatte als erste und einzige in der Familie sofort erkannt, was das bedeutete: Krieg.

Nartum
Mi 30. August 1989
    Bild: Ungarn: 20 000 brechen durch/Noch diese Woche größte Flucht aller Zeiten
    ND: Lehrer stellen sich ihrem gesellschaftlichen Auftrag
     
    Ich war mit dem amerikanischen Studenten in Hamburg. Idiotischer Stolz auf eine Stadt, die ich nicht gebaut habe und deren Behörden mir nur Leid zugefügt haben. Wir aßen im Bratwurstglöckle eine Bratwurst ohne Glöckle. Thalia-Buchhandlung. Für 114 Mark Bücher gekauft. - Pasternak-Briefe: 12,80 Mark - Else Lasker-Schüler, rororo, 9,80 Mark.
    Auf der Rückfahrt fuhr ich extra schnell, damit er sich mal wundert, wie schnell ein deutsches Auto fährt. Das war ihm nicht