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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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eine Gemeinschaft vorgeführt, in der jüdische und deutsche Schüler eine zeitlang zusammenleben. Die müssen dann wohl anschließend zum Psychiater, die Deutschen. Vielleicht haben sie den gleich mitgebracht?
    Morgens an der Berlin-Rede gesessen (über das«Echolot»), nachmittags lange geschlafen und dann wieder am«Echolot».
    Himmlers Briefe, von Heiber herausgegeben. Unglaublich.
    Vergeblich habe ich bisher nach einer alles verbindenden Idee für unser Haus gesucht. Es müßte eine zentrale Idee geben. Es ist alles verschwommen. Wenn es mir gelänge, den Mittelpunkt, das Zentrum meines Lebens zu finden! - Das Zentrum bin ich selbst. Aber wo liegt das Zentrum in mir? - Es heißt Schuld, und das ist nicht darstellbar. So ist das Haus Fluchtburg, Gefängnis zugleich, eine Festung, die mir verhilft, das Sühnewerk zu vollenden. (Deshalb darf es auch luxuriös sein.)
     
    2000: Luxuriös? Das hier ist doch alles ganz einfach. Der Rennfahrer Schumacher mit seinem langen Kinn hat ein 1000-Quadratmeter-Haus. Das möchte ich mal sehen.
     
    Schöner warmer, stiller Tag, über den hin und wieder Scheißhauswolken geblasen werden. Mückenzeit. Sie regen mich nicht so auf wie die proletarischen Fliegen. - Spinnen kann ich gut aushalten.

Berlin
Sa 2. September 1989
    Bild : Kohl heimlich nachts in Klinik / Was ist da los?
    ND: Volkskammer bekräftigt: Von deutschem Boden darf nur noch Frieden, nie mehr Krieg ausgehen
     
    Berlin. Im Historischen Museum sprach ich über das«Echolot». Im KaDeWe gab es alles in Hülle und Fülle, nur merkwürdigerweise kaum Obst. Ich wollte mir einen Pfirsich kaufen, alle unreif, hart wie Stein. Italienische Ware. Mußte an Kanada denken, 1971, an die schöne Pfirsichverkäuferin. Waren das herrliche Früchte! Aber in jeder ein Ohrenkneifer.
    Friseur. Ich konnte es nicht lassen und erzählte der wahnsinnig hübschen Friseuse, daß ich Romane schreibe. -«Mit Intrigen?»fragte sie.
    Im Café Möhring saß ich neben einer Gruppe Jüdinnen, die aus Israel gekommen waren, um sich ihre Heimat wieder einmal anzusehen. Sie sprachen von Tel Aviv, wie man dort wohnt, wie teuer die Busse usw. Eine hörte ich sagen:«Finanziell komm’ ick jrade hin … Mit Geld is keen Kunstück zu wirtschaften.»

Berlin
So 3. September 1989
    Welt am Sonntag: CDU-Albrecht verliert Mehrheit im Landtag /Niedersachsens CDU beschließt Ausschluß von MdL Vajen wegen Kontakten zu Republikanern
    Sonntag: Der lange Weg. Gedanken zum 1. September. Von Stefan Doernberg
     
    Gestern flogen wir zu dritt nach Berlin, Renate, Hildegard und ich. Vorstellung des«Echolot»im Historischen Museum. Ich legte meinen ausgearbeiteten Vortrag zur Seite und sprach frei, was sehr günstig war, denn dadurch konnte ich mich besser auf die Zuhörer einstellen. Stölzl empfing uns freundlich und angemessen.
Im Publikum unter anderem Hans Brecht, bei dem ich mich für damals bedankte. Kuby hinterher war auch zu kontaktieren, recht vergreist schon. Aus irgendeinem Grund haßt er Deutschland. Hildegard war nicht so sehr einverstanden mit seiner Lesung, die hinterher stattfand, plus Günter de Bruyn, dem etwas faden (magenkrank?). Ich konnte Kuby sagen, was er am
    14. März 1943 gemacht hat, weil ich diesen Tag zufällig gerade bearbeitet hatte. Das verblüffte ihn nicht im geringsten. Hinterher wollte ich eigentlich mit ihm und de Bruyn nach Schriftstellerart noch ein wenig reden, aber de Bruyn war verschwunden. Er hatte sich«dünne»gemacht.
    In der Diskussion kamen die Einwände, die ich selbst dem Projekt entgegenbringe oder -brachte. Nur Prominenz sei nicht gut, nur Anonyme auch nicht. Eben. Das Amorphe sei durch Strukturierung konsumierbar zu machen. Ja. Einer meinte, es müsse ein riesiger Fußnotenapparat dem Werk beigefügt werden. Nein. - Ich hatte auch Fotos mitgebracht, Dias, deren Datierung sofort von den anwesenden ehemaligen PK 9 -Männern kritisiert wurde. Die Filzstiefel der Gefallenen auf dem Bild. Die Erweiterung durch«Tonträger»war hinterher mit einem Fachmann zu diskutieren, dessen Namen ich nicht verstanden habe. Er hat ein Geräusch-Hör-Bild gemacht für die Ausstellung, das wir uns leider nicht anhören konnten. So etwas wäre für das«Echolot»brauchbar. Er plädierte für CD, was ich nicht gut finde, weil sich der Leser dann immer neben das Gerät setzen muß. Ein kleines Tb-Gerät kann er neben den Sessel stellen. Nur das Zählwerk müßte genormt sein. Kommt noch hinzu, daß wohl jeder Mensch einen

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