Alkor - Tagebuch 1989
braucht nur das Vorwurfsmuster, das die Alliierten gegen uns praktizierten, auf die SU anzuwenden. - Das alles entlastet uns im übrigen leider nicht.
Vorgestern war ich in Lübeck wegen einer Predigt in der Petrikirche. Ich dachte an eine Lesung aus«Echolot». Das gefiel den Leuten dort nicht. Bin ich denn ein Pastor? Die«Predigt»sollte«flankiert werden durch Erzeugnisse eines bildenden Künstlers». In meinem Fall einer Künstlerin, die Tagebücher auf ewig eingeschweißt und in einem Regal kunstgewerblich aufgeschichtet hat (Sigurdson).«Ich bin Isländerin.»Durch meine Fragen nach dem Sinn der Aktion und nach Zusammenhängen -«ich bin Mecklenburger»- brachte ich sie aus der Fassung, leider.- Eine Zusammenarbeit mit mir lehnte sie folglich ab.
Die gesamte Innenausstattung der Petrikirche ist’42 mit verbrannt, weil keiner Zeit hatte in dem allgemeinen Inferno, sich darum zu kümmern. Jetzt ist sie wiederaufgebaut, ein wunderschönes Parkhaus steht unmittelbar daneben.
Im Anschluß an meine Gespräche ging ich noch ein wenig durch die Stadt, die altvertraute. Die in den 50er Jahren weggerissene Marienkapelle. Die Rückseite von Karstadt. Ansonsten viel Schönes. In der Altstadt übrigens viele Ausländer, meistens Türken, sie prägen jetzt die alte Hansestadt auf befremdliche Weise.
Der Amerikaner wird noch 14 Tage bleiben. Er tut nichts, außer Ansichtskarten schreiben und Mandoline spielen. Den Tag über ißt er kaum etwas, das holt er dann abends nach, und Hildegard heizt ihm tüchtig ein.
Gestern war ich in Hamburg, einen neuen Computer angucken. Umständliche Sache, als ob die Ingenieure, die sich das Ding ausgedacht haben (IBM), zuviel getrunken hätten. Absichtlich umständlich ist die Bedienung, damit man den nötigen Respekt aufbringt für diese Erfindung.
Mir wird etwas schwummerig, es ist, als ob ich mich an Linksverkehr
gewöhnen müßte. Aber ich muß das Gerät wohl anschaffen (10 000 Mark), weil in der«Olivetti»die Speicherkapazität für das«Echolot»nicht ausreicht. Außerdem ist das Gerät nicht kompatibel. Unglaublich, daß man mir das damals nicht gesagt hat!« Natürlich ist es kompatibel», so reden diese Leute.«Olivetti»! Das mußte mir passieren! Wo ich doch immer gegen italienische Scheiße gewesen bin!
Was hab’ ich schon für Blödsinn angestellt in meinem Leben. In Antiquariaten nach Briefen und Tagebüchern gesucht.«Wir schmeißen so was sofort weg!»sagen die Buchhändler.
Bei Hennings für 482 DM«Echolot»-Bücher gekauft.
TV: Der sehr erregte Graf von Einsiedel, der über seine Zugehörigkeit zum NKFD ein Buch geschrieben hat. Es mag ja sein, daß er guten Glaubens gehandelt hat. Was ich allerdings bisher über diese Leute gehört habe, ist weniger erfreulich. - Sie möchten sich gern neben die 20.-Juli-Verschwörer stellen, aber da ist ein kleiner Unterschied: Sie wurden von außen dazu ermutigt und gestützt. Es haben auch einige dieser Leute mit der Waffe gegen Deutschland gekämpft. Das stört mich übrigens auch an Klaus und Erika Mann, dies Protzen mit der GI-Uniform. Und:« Ihr Deutschen.»Und Döblin! Nach dem Krieg hier in französischer Uniform aufzukreuzen! Da ist mir Oskar Maria Graf schon sympathischer, der nach Moskau zum Schriftstellerkongreß in Lederhosen fuhr.«Wir Deutschen.»
Interessante Bilder von damals waren zu sehen, Seydlitz und seine Offizierskollegen in Moskau, noch mit Hakenkreuz-Orden und mit«Hoheitsadler»auf der rechten Brustseite, die sonderbarsten Reden haltend. Und einfache Landser, glattgeschoren, die brav Zustimmung nicken und innere Umkehr mimen. - Interessante Köpfe darunter. Dann Filmaufnahmen von deutschen Gefangenen, 1944, eine unglaubliche Menge, wie sie lagern und in die Kamera gucken, und dann stehen sie plötzlich alle auf. Todgeweihte. - Es wurde vorgerechnet, daß von den deutschen Kriegsgefangenen in der SU jeder dritte umgekommen ist, von den russischen Kriegsgefangenen in Deutschland jedoch jeder zweite.
Ansonsten im TV: Betende Zigeuner in Nahaufnahme. Dann amerikanische Heldentatenfilme. Die Bombardierung deutscher Städte gibt kein Material ab für solche Schinken. Mich stört es, daß in der deutschen Fernsehzeitung bei diesen amerikanischen Filmen mit Formulierungen wie«die Deutschen»gearbeitet wird. Wer denn? Ich glaube, das deutsche Volk ist das einzige auf der ganzen Welt, das keinen Helden mehr aufzuweisen hat. Irgendwann wird die jetzt nachwachsende Generation danach fragen. - Es wurde auch
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