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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sowohl volkstümlich als auch wissenschaftlich./Oral History plus Geschichte von oben. /Aber ohne Anmerkungsapparat.

Nartum
Do 12. Oktober 1989
    Bild: Honecker / Der Sturz
    ND: Erklärung des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands/Die sozialistische Arbeiter- und Bauernmacht ist von niemandem erpressbar
     
    Der Computer-Mensch, der hier dauernd kommt, um was zu reparieren oder einzustellen, freute sich, daß der Drucker auch englisch drucken kann.«Das hab’ ich noch nie gesehen.»- Japanisch wird er nicht schaffen. Der Mann trägt einen hellen Leinenanzug, verknautscht. So ein Ding werde ich mir auch besorgen. Von Zweitausendeins kamen Chaplin-Videos und Karl Valentin: 190 Mark.
    In den SAT- und PLUS-Sendern werden jetzt viele, sehr primitive amerikanische Anti-Deutschen-Filme gezeigt. Groteske Überzeichnungen: Da sind die Wikingerhörner nicht mehr weit. Vielleicht waren sie als Witzfilme gedacht.
    Ich weiß nicht, wie ich es ausgehalten hätte, immer noch Dorfschulmeister zu sein. Aber andere müssen es!
    Oh, ihr Zimmermädchen, warum habt ihr niemals Zigarrenstummel entwendet, wenn Thomas Mann abreiste! Allein an den Papierkorb zu denken. Der erste Sekretär Churchills hat so manches aus dem Papierkorb gefischt. Bestochenes Personal: Das Badewasser der Bardot wurde einst auf Flaschen gezogen.

    Thomas Mann schreibt, daß seine Kapitel sonderbarerweise immer ungefähr die gleiche Länge hätten. - Das hat wohl mit dem Ahnen zu tun.
    «Können Sie noch schreiben, was Sie wollen, oder übt der Verlag Druck auf Sie aus?»- Er kam aus Bromberg. Kein Mensch weiß mehr, wo Bromberg liegt. Wo Sri Lanka liegt, wissen alle.

Nartum
Fr 13. Oktober 1989
    Bild: Honecker: Mittwoch letzter Arbeitstag
    ND: Ideenreich und tatkräftig arbeiten wir für das Wohl des ganzen Volkes
     
    SED-Hager war im TV zu sehen, unbeugsam und starrsinnig. Von der Seite sieht er ganz manierlich aus, scharfes Profil, jesuitisch. Alles will er mitmachen, wenn nur nicht am System gerüttelt wird, sagt er. Also will er gar nichts mitmachen.
    «Den Dialog haben wir schließlich erfunden! »- Als Schriftsteller von so einem Typ abhängig zu sein! - Glaube nicht, daß man gegen ihn ankommt, wenn man sich erst mit ihm einläßt.
    Kant und Hermlin üben sich im Trittbrettfahren.
    Kohl ist sehr dick geworden, richtig fett. Er fährt am 9. November nach Polen. Es wurde angefragt, ob ich mitwill. No.
    Gestern Ranicki und Karasek und zwei stumme Damen über Dürrenmatt (der jetzt angeblich eine Frau hat, die ihm befiehlt: Los, dichten - diese alte Story), Handke (dessen 23 Schreibmaschinenseiten über die Müdigkeit auf 90 Seiten aufgeblasen worden seien), Botho Strauß (der schreibe, als wenn Rilke Pornos …) und Bieler, den sie bei Gott schrecklich zurichteten. Gelobt wurde die große Nabokov-Ausgabe von Dieter E. Zimmer, und das zu Recht. - Man muß die Literatur-Richter gesehen haben. Demnächst verhängt dieses Tribunal noch Gefängnisstrafen.
    Der Rote Stern über dem ungarischen Parlament ist erloschen. Ein erhebender Augenblick. - Nun müssen sie scharf nachdenken, was statt dessen dort aufgepflanzt wird.

    Desirée Nosbusch im TV. So eine Art Medien-Opfer.«Vater: Lastwagenfahrer», wird einem unter die Nase gerieben. Daß sie bei einer Studiobesichtigung entdeckt worden sei. Irgendwie lieb sieht sie aus, anziehend - aber auch leer. Vor einiger Zeit nannte sie sich N.-Becker oder so ähnlich. Das war ein alter Mann mit gefärbten Haaren, der saß immer im Hintergrund. Den hat sie nun wohl wieder abserviert.
    Mit Hildegard zusammen am«Echolot», ein Faß ohne Boden. Sie diktierte mir Briefe einer Studentin aus Erlangen. Es hilft, aber regt mich auf, weil sie sich dauernd räuspert. Beim Diktieren muß man einen gewissen Rhythmus einhalten, das kann nicht jeder. Hat was mit Musikalität zu tun.
    Absurd, daß die geschnappten Flüchtlinge zwei Jahre kriegen, und die nicht Geschnappten dürfen ausreisen. Das stört sogar den DDR-Vogel. Hier hat’s niemanden vom Hocker gerissen. Kein Gerechtigkeitsheld hat aufgemuckt bisher.

Nartum
Sa 14. Oktober 1989
    Bild: Tragödie beim ARD-«Wunschkonzert»/Dagmar Berghoffs Zuschauer ist tot
    ND: Im festen Bündnis lösen wir die Aufgaben mit dem Volk und für das Volk
     
    Heute habe ich viel geschafft, herangeschafft für das«Echolot», wie in den letzten Tagen, und doch bin ich zeitweise verzagt. Es sind nur Tropfen; Wasserhähne, die man anstellt … mangeht weg,

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