Alkor - Tagebuch 1989
der Wasserfaden wird dünner, es tröpfelt, und wenn man wiederkommt, ist es ganz aus. - Hildegard diktierte mir weiter die sehr schönen Briefe aus Erlangen, die Studentin muß Sport treiben und regt sich über ihre schlackernden Brüste auf.
Ich fand bei Robert eine knappe Beschreibung seiner Jazzer-Zeit. Beides sind«Anti»-Zeugnisse privater Art. - Dann fand ich in
einer englischen Zeitschrift - in London besorgt - die Beschreibung einer Flugzeugkatastrophe von 1943. Ein Liberator notlandet in der Sahara. Die Leichen der neun verdursteten Piloten werden erst nach 16 Jahren gefunden. Einer der Piloten war schon beim Absprung umgekommen. Man fand ihn noch in die Seile des Fallschirms, der sich nicht geöffnet hatte, verwickelt: Glück gehabt, kann man da nur sagen.
Jeden Tag solche Funde - dann lebten wir nicht so phantomatisch dahin.
Interessantes Filmangebot. Schmidt will das Tennis-Projekt übernehmen.
Streichquartett von Dohnányi.
Nartum
So 15. Oktober 1989
Welt am Sonntag: Honecker-Nachfolge: Machtkampf in der SED/Opposition in der DDR erwartet Wechsel an der Parteispitze - Debatte um SED-Monopolstellung
Sonntag: Zwischen Kabuki und Comic. Notizen zur Kultur in Japan. Von Angela und Rainer Köhler
Beim Fernsehen sitze ich auf dem Sprung, den Videoknopf in der Hand. Täglich gibt es unglaubliche Sensationen. Ich nehme alles auf. Gestern wieder fünf Kassetten gekauft: 54 Mark. Wie sagte Pater Delp in seiner Todeszelle? Gott segne unser deutsches Volk.
Nartum
Mo 16. Oktober 1989
Bild : Krebs: Günther Ungeheuer †/Elstners Wundergärtner enthüllt in BILD: Das Geheimnis des Riesenkohlrabi
ND: Unser Land braucht die Ideen und Taten eines jeden Bürgers
Gewaltige Demonstrationen in Leipzig:«SED, das tut weh!»-«Wir sind das Volk!»Wie schade, daß ich nicht nach Leipzig fahren darf/kann. Wo steckt Krolikowski? - Von Rostock ist nichts zu hören, die sind wohl noch nicht aufgewacht. - 51 000 sind jetzt über Ungarn zu uns gekommen. Das befriedigt mich, aber gleichzeitig denke ich an südamerikanische Überbevölkerung. Wenn dies nun solche Ausmaße annimmt? Asylleute, Rußlandübersiedler, DDR-Übersiedler.«Dat hümpelt sick», wie die Plattdeutschen sagen. Aber irgendwie versickern die Leute hier, man sagt, daß die meisten zu Bekannten und Verwandten fahren. So wie wir damals. Und mit all den Menschen wird ja auch der Konsum angeheizt. Die kriegen irgendein Übergangsgeld oder Kredite, und dann wird eingekauft.
Vormittags gelesen, Klavier gespielt. Das Auswendig-Spielen mit geschlossenen Augen. Hier gewinnt die Musik Plastizität, an der auch die Finger und die Tasten Anteil haben. Die gegriffene Passage und die gehörte . - Es gibt dann immer«Weichen», Passagen, die man sich genau merken muß (Mozart), sonst landet man ganz woanders.
Nach Tisch Laugwitz und Frau mit Kindern. Der Kleine ruhig und zufrieden, den Schnuller im Mund. Der Größere durchs Zimmer wetzend. Zuerst versuchten wir Erwachsenen, uns zu unterhalten, in Verkennung der Lage. Ich sah mir dann die Kinder an, wenn schon mal welche da sind - und freute mich an dem festen Griff der kleinen Kinderhand. Robert«schenkte»mir ab und zu was, ich war der Opa. Wie kommt so ein Kind darauf, einem was zu schenken? - Dann zeigte mir Laugwitz allerhand Raffinessen an meinem Computer. Höchst erfreulich. Er schaltete sich in die Eingeweide und wanderte darin herum, und ich hatte Angst, daß er nicht wieder zurückfindet oder irgendwas kaputtschaltet.
Am Abend tippte ich mit Hildegards Unterstützung noch sehr Gegensätzliches ein. Das Fletschern 11 der Erlanger Studentin,
die Stalingrad-Erinnerungen des Fürsten Dohna und die eigenartigen Verblasenheiten des Herrn Hausenstein. Mich ärgert es, wenn die Leute zum«Echolot»sagen:«Daß Sie sich da man nicht verlieren …»Das ist ja meine Sache. Warum soll ich mich nicht mal ein bißchen verlieren?
Ein Bauer aus Süderhaff, der im Krieg SS-Mann war, versucht mir die Deutschfeindlichkeit der Dänen zu erklären. Er lädt mich ein, auf seinem Hof Urlaub zu machen, großer Garten, direkt an der Förde;«keine Tierhaltung», mit Blick auf die Ochseninseln.
Nartum
Di 17. Oktober 1989
Bild: Schwarzer Montag/Ach, diese armen Millionäre
ND: Gespräche mit Arbeitern, Bauern und Ingenieuren
Beginn des Wintersemesters.
Vor ein paar Tagen führten sie im Fernsehen einen Apparat vor, der jeden beliebigen gedruckten Text vorliest! Das Ding war noch etwas unförmig, aber die Stimme
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