Alkor - Tagebuch 1989
sentimental journey
gonna set my heart at ease
gonna make a sentimental journey
to review old memories.
Seine Truppe nennt sich«Swing Society».
Ich bin also nun imstande, den Schlager mit Text zu singen, allerdings nur, wenn ich mir das Blatt vor die Nase halte. Ich mochte das Stück nie. Aber jetzt erinnert es mich an Wiesbaden, die Zeit im Sales Commissary, die weiche warme Winterluft. Ich hatte nie eine Freundin.
Wir wissen zu wenig von den Amerikanern, die damals nach Europa kamen, und sie wußten nichts von uns. Ray T. Matheny hat uns was erzählt, aber keiner wollte es hören. Als er abgeschossen wurde, landete er bei einer Bäuerin in der Küche, die freundlich zu ihm war.
Das Bauernhaus war geräumig und behaglich. Der kleine dickbauchige Kanonenofen heizte eine Wohnstube sowie das angrenzende Eßzimmer. Die deutsche Familie war freundlich zu mir, bot mir eine Wolldecke und einen Lappen an, mir die blutende Stirn damit zu verbinden. Auch etwas zu essen boten sie mir zu Mittag an, doch das brachte ich nicht herunter. Es war alles noch zu früh nach dem traumatischen Geschehen heute morgen. Die Kinder, ein Junge von vielleicht sieben und ein kleines Mädchen von etwa acht Jahren - spielten ein Kartenspiel mit Karten, die anders waren als die unseren. Sie sprachen mich ebenso an wie ihre Mutter, eine nett aussehende Frau. Der Christbaum der Familie war noch nicht geplündert; der meiste Christbaumschmuck bestand aus Buntpapier. Photos von Männern in Uniform machten deutlich, warum sie fehlten …
Gegen sechs gab es Abendessen, und die junge Mutter forderte mich auf, am Tisch Platz zu nehmen. Die Familie war sehr höflich zu mir, reichte mir Salzkartoffeln, Möhren und Kohl und gab mir zu verstehen, ich solle nur zulangen. Dazu gab es deftiges Schwarzbrot und Butter. Den Höhepunkt der Mahlzeit bildete eine Scheibe Möhrenkuchen für jeden. Den Ersatzkaffee lehnte ich ab.
«Das also sind die Feinde, die man dich gelehrt hat zu hassen», dachte ich. Diese Leute spielen sogar die gleichen Kartenspiele wie wir. Der Hauptunterschied besteht darin, daß sie deutsch sprechen und kein englisch. Ich war verwirrt. Von hoch oben aus der Luft nahm sich der Feind so ganz anders aus. Aus sieben- bis achttausend Metern Höhe war der Feind etwas ganz und gar Unpersönliches; sofern personifiziert, nahm er die Gestalt Hitlers an, wie er bei den Aufmärschen in den dreißiger Jahren ausgesehen hatte, hysterisch schrie und wie ein Wahnsinniger mit den Armen in der Luft herumfuchtelte. Manchmal stellte man sich den Feind als Marschkolonne von gesichtslosen Uniformierten vor, die im Gleichschritt die Beine hochwarf und mit steif ausgestrecktem Arm ihr Idol grüßte. Mir hatte man den Feind als blindwütige, monokeltragende Ungeheuer hingestellt, die weder Mitleid noch Familiensinn kannten, weder höheres Streben noch Religion. Man hatte sie uns als willenlose Roboter geschildert, die nie Gutes taten, sondern immer nur Böses. Sie hatten alle gleich ausgesehen und das Zeichen des Todes im Gesicht getragen.
Plötzlich hatte der Feind ein von Sorgen und Arbeit, von Mühsal und Liebe, von Mitgefühl gezeichnetes Gesicht - Mitgefühl sogar für einen Fremden, ja für einen Feind; und er hatte ein Gesicht, das
Ihr lieben«Tadellöser»-Freaks, weshalb lest Ihr dieses Buch nicht? Wollt Ihr denn nicht wissen, was das für Leute waren, die euch die Bomben auf den Kopf schmissen? Lest:
Ray T. Matheny:«Die Feuerreiter», Knaus Verlag 1987. Ihr werdet es vergebens ordern, es ist längst vergriffen (d. h. eingestampft?).
Angst verriet. Der Vater der Kinder, der Mann der Mutter, der Bruder, der Onkel - alle trugen sie Uniform. Waren das die Männer, die am Steuerknüppel und hinter dem MG der Me-109 saßen und die Flak-Geschütze bemannten? Wer ist das - der Feind? fragte ich mich. Die Antwort auf diese Frage sollte ich in den nächsten anderthalb Jahren finden.
Archiv: Eine Frau beschreibt, wie sie als Schülerin mit Mutter und Schwestern vor den Russen flüchtete und dann noch mehrmals zurückging (nach Ratibor) und z. B. Sauerkraut holte. - Wir wundern uns über das Wort Ratibor. Lexikon: Ratibor, poln. Racibórz. Von den Deutschen, die dort gewohnt haben, steht im Meyer von 1977 kein Wort. Im Meyer von 1907 steht hingegen über Polen kein Wort. Das ehemalige Herzogtum wurde von einer teilweise polnisch sprechenden Bevölkerung bewohnt, steht im Brockhaus. - Aber was, zum Kuckuck, bedeutet«Ratibor»? Gestern verbrannten die
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