Alkor - Tagebuch 1989
auf dem Schoß, rauchend. Mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Thomas Manns sonderbare Bemerkung über die Juden, sie seien eben doch eine andere Rasse, das spüre man doch, anderes Blut. Mit Schiemann sprach ich über die Schwarzen. Er meint, deren Gene seien anders als unsere.
Ich singe schon seit Monaten, wenn ich mich an die Arbeit setze:«Morgen kommt der Weihnachtsmann», leicht verfremdet. Joh. Christoph Bachs Variationen drüber, unter einem französischen Titel. - Wenn ich die Arbeit beendet habe, singe ich«Lullaby of Birdland …». - Und wenn ich morgens die Treppe hinuntersteige und Hildegard in der Küche höre, dann singe ich (laut):
Dein König kommt, o Zion,
bald kehrt er bei dir ein!
So ist das mit dem Unbewußten.
Sie nahm es mir übel, daß ich mich erschrak.
Der heilige Zeno , an den sich heute die katholische Kirche erinnert, ein Afrikaner, bestritt zeitweilig seinen Lebensunterhalt
durch Fischen. Man denke, daß Kardinäle sich auf diese Weise über Wasser halten müßten. - Unter einem Mercedes 600 machen sie’s nicht.
Düsseldorf
Do 13. April 1989
Bild: Kohls neue Regierung
ND: Erich Honecker empfing die Außenminister der Staaten des Warschauer Vertrages
Lesung in Düsseldorf, hoch dotiert. Universität Düsseldorf, drekkig und verkommen. Anschließend an die Lesung gingen wir angenehm essen, Prof. Stötzel und«Kollege Arnold». - Auch ein Mediziner war dabei, dem ich von meinen Einschlafstörungen erzählte. Über meine heißen Beinbrausungen lächelte er, die Frau stieß ihn an, er soll das lassen, mich auslachen. Er berichtete von abgetriebenen Föten, daß die Finger schon erkennbar sind. Eine greuliche Schlächterei. Unbeschreiblich. Irgendwann müssen wir das büßen.
TV:«Goldrausch». Ich dachte an Wiesbaden 1948, an diese wunderbaren Wochen vor meinem Unglück. Damals gingen wir jeden Tag ins Kino. Übrigens auch ins Theater. Ich sah in jenen Tagen Karl Lieffen in einem Lustspiel. Wenn mir damals einer erzählt hätte, daß er eines Tages in einem Film meinen Vater spielt!
Heute ist der Tag des heiligen Paternus , ein irischer Rekluse in dem von Bischof Meinwerk gestifteten Abdinghofskloster zu Paderborn. Er sagte den großen Stadtbrand von 1058 voraus und kam selbst dabei um, da er seine an das Kloster angebaute und verschlossene Zelle seinem Gelübde entsprechend nicht hatte verlassen wollen.
2000: Broschüre über den großen Angriff auf Paderborn, 1945. In ihr wird Paternus nicht erwähnt.
Düsseldorf
Fr 14. April 1989
Bild: Das soll besser werden/Weniger Asylanten / Mehr Wohnungen / Aus für Wackersdorf / Quellensteuer weg / Gesundheitsreform / Kürzerer Wehrdienst
ND: NATO sollte ohne Zögern auf Gesprächsangebot eingehen
Regen, Kälte.
Düsseldorf: Blockseminar, zweimal 90 Minuten.
I: Von der Schwierigkeit, Prosa zu schreiben.
II: Modellinterpretation des Anfangs von T/W («Der Umzug»). Präsentation der Foto- und Tonbandmaterialien.
Ich hatte nicht den Eindruck, daß ich mit meiner Gastrolle die Wissenschaft gefördert hätte. Es interessiert sie nicht, ich interessierte sie nicht. Aber: Wenn ich auch im Literaturbetrieb nichts gelte, so ist eben doch das Werk getan, sie werden’s zur Kenntnis nehmen müssen eines Tages.
Ein junges Mädchen im TV auf die Frage eines Reporters, ob sie lieber Butter oder Margarine ißt:«Margarine. - Butter ist immer so steif, wenn sie aus dem Kühlschrank kommt.»
Lesung in der Buchhandlung Stern. Hinterher meldete sich ein Uralt-Freund: Julius B., genannt«Jüler». Er schickte mir im Sommer 1945 eine Bescheinigung, daß ich in Minden untergebracht werden könnte, d. h., ich hätte damals ohne weiteres in den Westen übersiedeln können. Meine Phantasie reicht nicht aus, mir vorzustellen, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich das Angebot angenommen hätte.
Er zeigte mir Briefe, die ich ihm damals geschrieben hatte, ekelhafteste Kitscherzeugnisse. Wie ist so was nur möglich? Und wie ist es möglich, daß er diese Briefe all die Jahre aufbewahrt hat? Fünfundvierzig Jahre lang! - Ich muß damals ganz besonders bescheuert, ja sensationell unterentwickelt gewesen sein.
«Spiegel»: Über die«Isolationsfolter», die Haftbedingungen der RAF-Leute:
In ihrer Zelle, fast neun Quadratmeter groß und von normaler Zimmerhöhe, kann sich Christa Eckes, 39, morgens ungestört schminken und abends die Bettleuchte anknipsen, um wahlweise die«Frankfurter Allgemeine Zeitung»oder etwa
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