Alkor - Tagebuch 1989
saß, gestern, hätte ich sie auch heute noch um ein gemeinsames Leben gebeten. Als ich sie fragte, an was sie sich erinnert, wenn sie an ihre Geburtstage denke? -«Keine Erinnerungen bitte», sagte sie da. Mit Hildegard war ich heute in Hamburg, 16 Uhr bei Kersten. Die Geheimnisse des Herrn Kersten. Ich möchte gern wissen, wie er wohnt, ob er eine Freundin hat usw. Raddatz hat ihm mal eine Rechnung zurückgeschickt, die bezahlt er nicht, die ist ihm zu hoch. So was imponiert mir, aber ich komm’ mit so was nicht durch. - Saftig sind sie, die Rechnungen des Herrn Kersten. Ich fand in seinem Bücherregal ein interessantes Buch, ich lieh es mir aus in der festen Absicht, es nicht wieder zurückzugeben. Irgendwie muß man sich doch schadlos halten.
Eine pensionierte Lehrerin schreibt: Wehe, man dachte in der Schule (integrierte-Gesamtschul-Oberstufe) nicht trendgerecht, dann war aber was los im Klassenzimmer! Da wurde man so richtig gefetzt! An einer solchen Schule mußte man links-alternativ sein. - Meine Bemühungen in Oldenburg, die humane Erlebnispädagogik zu propagieren. Hermann Lietz, Berthold Otto, Reichwein. Man muß die Gleichgültigkeit der jungen Leute erlebt haben.«Reformpädagogik»- wenn sie so was hören, dann lachen sie doch bloß. Und was war das für ein wunderbares Arbeiten in meiner Landschule.
Abends arbeitete ich an der alphabetischen Kartei des Archivs, Bios durchgelesen und Einzelheiten verzeichnet. Ermattend. Die Doktoranden sollen sich (eines Tages) ihre Verzeichnisse selber machen.
Es rief einer an, er spreche für einen ganz kleinen Kulturkreis, er hätte neulich von mir eine Lesung im Radio gehört, von einem Sowtschick; davon möcht’ er gern mehr hören. Ich empfahl ihm das Buch, vielleicht kauft er’s ja. - Die Arbeit an den«Hundstagen»war ein einziger Spaß. Jetzt hab ich immer noch Angst vor der Post, ich denke immer, man beschimpft mich dafür, oder man droht mir aus irgendwelchen Gründen mit dem Rechtsanwalt. Post mit dem Stempel«Oldenburg», das ist das Schlimmste.
Noch ein Jahr bis zur Pensionierung … Eigentlich schade, daß man das Alter herbeisehnt.
Ein Herr aus Bochum schreibt, er findet den Schutzumschlag von«Hundstage»scheußlich. - Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Andersch meinte damals, das sei der Schutzumschlag eines leichten Sommerromans. Leider habe ich mich bei der Künstlerin nicht bedankt.
Goethe, vertrauliche Briefe über ihn, drei Bände, im Ramsch gekauft (Ostzone). Börne schreibt 1830:
Goethe spricht langsam, leise, ruhig und kalt. Die dumme scheinbeherrschte Menge preist das hoch. Der Langsame ist ihr bedächtig, der Leise bescheiden, der Ruhige gerecht und der Kalte vernünftig. Aber es ist alles anders. Der Mutige ist laut, der Gerechte eifrig, der Mitleidige bewegt, der Entschiedene schnell. Wer auf dem schwanken Seile der Lüge tanzt, braucht die Balancierstange der Überlegung; doch wer auf dem festen Boden der Wahrheit wandelt, mißt nicht ängstlich seine Schritte ab und schweift mit seinen Gedanken nach Lust umher. Seht euch vor mit allen, die so ruhig und sicher sprechen! Sie sind ruhig aus Unruhe, scheinen sicher, weil sie sich unsicher fühlen. Glaubet dem Zweifelnden, und zweifelt, wenn man Glauben gebietet. Goethes Lehrstil beleidigt jeden freien Mann. Unter allem, was er spricht, steht:«Tel est notre plaisir? »Goethe ist anmaßend oder ein Pedant, vielleicht beides.
Nartum
Mi 19. April 1989
Bild: Aus dem Luxusbett in die Zelle / Milliardär Kashoggi verhaftet
ND: DDR und ČSSR vertiefen allseitig Zusammenarbeit
12 Uhr. Neun Schüler mit ihrem Lehrer: Eine hartleibige Sache. Wenn Schüler nicht von selbst kommen, sollte man sie in Ruhe lassen. Stumpfsinnig waren sie, vergeblich suchte ich sie zu provozieren. - Sowtschick sei ja ein ganz fieser Kerl, das war so ziemlich das einzige, was kam.
Im«Spiegel»ein Aufsatz über Hitler in Landsberg. Was war
eigentlich der Kriebel für einer? Und Christian Weber? Es ist an sich ja ganz egal, aber eine gewisse Neugier für diese Typen kann ich nicht verhehlen. So wie der Krolikowski drüben in der Zone. Auf Bildern des ZK suche ich immer den Krolikowski. Der Mann interessiert mich irgendwie.
«Werner Krolikowski, geb. 1928, Politiker. Sekretär des ZK der SED», steht im Lexikon.
Alles was recht ist, dieser Mann interessiert mich. Vielleicht ist es ja nur der Name? Nein, dahinter muß mehr stecken. Wann werde ich das Rätsel lösen?
In Landstuhl haben sie ein Denkmal
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