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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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junger Mann mal mit ihm in Bogenhausen spazierengegangen. - Der Name«Kuckuck», nicht glücklich gewählt; sonst war er doch immer so geschickt in der Namensfindung? - Ich habe das Buch nicht ganz lesen können, insofern ist es mir auch egal, daß er den zweiten Teil nicht mehr geschrieben hat. Glaub’ schon, daß es ihn ankotzte. Die Verklammerung des ganzen Lebens mit«Buddenbrooks»und«Krull»? Musikhalle: Schauplatz einer Niederlage. 1971, kurz nach Erscheinen des«Tadellöser». Es kamen etwa 20 Zuhörer, um mich
zu hören! Ich hatte gleich ein schlechtes Gefühl, als ich hörte:«Musikhalle». In großen Städten habe ich nur dann Zulauf, wenn ich in Vororten lese.

Nartum/Rellingen
Fr 21. April 1989
    Bild: Momper: TV-Verbot bei Elstner
    ND: Erich Honecker empfing Delegation der UdSSR-Streitkräfte zum Gespräch
     
    Warm. Von den Sträuchern segeln Blütenblätter. Ich drehte drei Runden um das Wäldchen, in dem die Vögel schreien. Hildegard mit ihrer Mutter.
    Heute Lesung in Rellingen, vom Rellinger Bücherschiff veranstaltet, im Rathaus.
    Vorher in Hannover im Kröpke zu Mittag gegessen. Stiftung Niedersachsen ist mir offenbar feindlich gesonnen. Albrecht mag mich nicht, wird gesagt, das kommt wohl von seiner Frau, die schriftstellerischen Ehrgeiz hat, schreibt griechische Dramen in Hexametern, die sie vor geladenen Gästen von ihren Kindern aufführen läßt, im Garten - in Bettlaken gewandet. Die hetzt natürlich gegen mich. - Es ist mir ein Rätsel, wieso die Hannoveraner das neue Kröpke-Lokal nicht boykottieren, ich erinnere mich noch gut an das gemütliche alte Kröpke. Weshalb hat man es nicht original wieder aufgebaut? War es nicht versprochen worden? Die brutalen Betontunnel mit Geschäften, die vor sich hinvegetieren. Urin-Seen.
    Heute fiel mir mal wieder auf, wieviel schöne Mädchen es in Hannover gibt, eigentlich nur schöne Mädchen. Ist das irgendwo mal festgehalten worden? Statistisch? - Bei Karstadt existiert eine Verkäuferin, die Gisela Kempowski heißt. Warum sage ich ihr nicht mal guten Tag?
    Hier in Rellingen ist anscheinend ein wildgewordener Stadtplaner am Werk gewesen. - Im Saal eine Versammlung von Jägern,
mit Jagdhorngeblase, scharfgeschnittenen Physiognomien. Sie begutachten das Gehörn, das an der Wand hängt. Ich sprach notgedrungen frei, da ich einen Vortrag halten sollte und gar keinen Vortrag dabeihatte. Am Nebentisch ein Berliner, der von seinem Oldtimer-Auto schwärmt, das riecht so gut, weil echtes Leder, 3 Liter Hubraum und entwickelt nur 33 PS. Mit drei Liter machten sie heute, ich weiß nicht, wieviel PS … Hinterher sah ich mich von wohlwollenden Männern der Wirtschaft umstanden. Sie sagten, sie wollten mich auch alle mal einladen.
    1999: Nie wieder was davon gehört.
     
    Arbeit am«Echolot», amerikanische Berichte unübersetzt lassen. Gibt Farbe. - (Raddatz: Überschätzen Sie die deutschen Leser nicht!!) - Langer Bericht einer Frau über Dresden. Wie sie nach Meißen geflüchtet sind, 1945. - Alles sehr interessant. So noch nie gelesen.
    Heute früh Interview für SAT 1, eine vollschlanke Dame mit Modeschmuck kam wegen meines 60. Sie war gut vorbereitet, fragte auch vernünftig, aber hörte sich die Antworten nicht an.
    Große Irritationen mit Hildegard, ich mußte den Seelen-Fön anschalten.
    KF haben sie sämtliche Ausweise gestohlen, Scheckkarte usw., auf dem Flohmarkt. Erinnert mich an New York, wo ich meine Brieftasche neben mich auf den Tresen gelegt hatte. Kam ein Polizist und sagte: Mister …
    Geburtstags-Nervositäten. Ruhe zum Arbeiten will sich nicht einstellen. Vermutlich brauche ich ein ganzes Jahr, um mich umzustellen.
    Warum ich nicht die ganze Chronik«Tadellöser & Wolff»nenne, fragte gestern eine Frau.
    Wenn ich die Dame in Gütersloh, die mein Honorar-Konto verwaltet, um Geld angehe, ist mir das immer sehr peinlich, ich versuche es der gütigen Frau zu erklären:«Wir müssen nämlich Steuern bezahlen …»-«Jaja, ich weiß», sagt sie.

    Hildegard zögert immer eine Hundertstel Sekunde, wenn ich zu ihr sage: Gib’ mir mal eben Geld. Sie hat irgendwelche Brieftaschen verschiedenster Größe, worin Zettel der chemischen Reinigung liegen, Gebrauchsanweisungen, Fotos von Kindern usw. Und dann gibt sie mir zögernd was, jedoch immer etwas weniger, als ich haben will.

Nartum
Sa 22. April 1989
    Bild: Opern-Sängerin an Hunde verfüttert
    ND: Verteidigungsminister der UdSSR: Erste Einheiten aus der DDR und der ČSSR abgezogen/Zentrale

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