Alkor - Tagebuch 1989
um sie für’s Archiv zu interessieren. -«Sklavenarbeit!»sagte sie. - Meine Mutter putzte damals unser Silber und betätigte sich sozial, führte eine Blinde spazieren. - Ich versuchte ihre Lebensgeschichte aufzunehmen auf Band, aber da gab es große Widerstände. Da kam das kleinstädtische Mißtrauen zum Vorschein. Ich durfte ja bisher auch die«Ahnenbriefe»nicht lesen, aus Blaubeuren, hübsche Sachen, die bis zu Vischer und Mörike zurückreichen. Wahrscheinlich verbrennt sie sie eines Tages.
Natürlich müßten wir sie zu uns nehmen, aber ich weiß nicht, ob ich die Contenance wahren könnte. Auf Dauer? Zehn Jahre lang womöglich? Auch Hildegard hat innere Widerstände, die im übrigen sehr lieb mit ihr ist. Manchmal singt sie mit ihr alte Volkslieder oder liest ihr was vor. Kann man auch nicht wissen, ob ihr das recht ist. Gedanken an Bettlägerigkeit. Am besten
wäre es gewesen, wir hätten die Garage zu einer kleinen Wohnung ausgebaut, mit extra Eingang, und dann eine Pflegerin engagiert. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte in der Stadt wohnen bleiben, das hatte was mit Status zu tun.
Heute abend war Walter Hirche hier. Er wollte mir zum 60. gratulieren und schenkte mir ein blau emailliertes Straßenschild: Augustenstraße 18, also leider mit falscher Hausnummer. Ich weiß nicht mehr, weshalb Fechner in seinem Film nicht die«90»nahm. Rostock-Besucher irren in der Stadt umher, und niemand weiß dort etwas von uns, wie man hört.
Hirche ist Mitglied in einem Verein, der mit Polen zu tun hat, vielleicht gelingt es, auf diesem Wege ein polnisches Tagebuch zu erwerben. Das fehlt uns noch für’s«Echolot».
Der ganze Osten ist noch nicht vorhanden. Ein Partisanen-Tagebuch müßte es sein.
1999: Nie wieder was davon gehört.
Das«Echolot»macht gute Fortschritte, aber sichtbar sind sie nicht. Auf dem Boden des Bassins stehen nur Wasserpfützen. Gestern und vorgestern hatte ich einen Schwächezustand, konnte nicht arbeiten, saß nur herum. Heute fing ich wieder an, wurde aber dauernd durchs Telefon gestört. Alles nette Leute, aber leider nervend.
Ich arbeitete am 14. März 1945, fand erst zwei Eintragungen vor und gab Mrongovius ein, er stellt Gleichgültigkeit der Soldaten fest, weil sie«nackt»sind gegenüber dem gepanzerten Feind.«Der deutsche Soldat steht nicht mehr», schreibt er.
Rühmkorf ist krank, Bandscheibe, kann nicht kommen zum Geburtstag. Ich glaube, er hat keine Lust. Früher hat er mal gesagt, er geht nicht auf Kinderfeste.
Finanzen immer noch nicht geklärt. Wir müssen hier alles verkaufen, so geht es nicht weiter. Da meine Leserschaft zu Weihnachten andere Bücher verschenkt, anstatt meine, müssen wir hier alles abbrechen. Meine Manuskripte müßten auf Leibrente veräußert werden.
Im«Spiegel»: Bericht über die Explosion auf dem Schlachtschiff«Iowa»; daß die Granaten 1200 Kilo wiegen und je sechs Zentner Pulver benötigen, das in Seidensäcken abgepackt ist. Vier dieser Schiffe sind«reaktiviert»worden. Man möchte wünschen, daß sie 20 davon besäßen. Im übrigen scheinen diese Dreadnoughts wie alle großen Kriegsschiffe ihre Macken zu haben, können mit den Kanonen z. B. nicht richtig zielen. Immerhin, im letzten Krieg hat eine japanische Granate auf dem Turm des Schiffes nur eine apfelgroße Delle hinterlassen. Das größte Schiff, das ich je sah, war ein Flugzeugträger im Hamburger Hafen. Nutten standen an der Pier und zeigten auf diesen oder jenen Matrosen dort oben an der Reeling, das sie den meinen und keinen andern. Diese direkte Ansprache scheint sehr wirksam zu sein.
Nartum
Do 27. April 1989
Bild: 1:1 - So ein Käse! / Trotzdem gut für uns / Traumtor von Riedle / Holland traf kurz vor Schluß
ND: Verdiente Bürger der DDR für ihre Leistungen geehrt / Bessere Wohnverhältnisse für jeden zweiten Bürger (in Bischofswerda)
Interviews mit NDR und RIAS. Man könnte die Antworten vom Band abspielen. Wenn sie in genormter, gewöhnlicher Fassung gegeben werden, sind die Leute am Mikrophon zufrieden. Sobald ein persönliches Wort fällt, das vielleicht noch nie gesagt wurde, wird sofort abgestellt. Schnitt! - Die Zurechtstutzung der Prominenz. Sie ist schon oft beschrieben worden. Sozialdemokraten haben sich mit SED-Bonzen am Scharmützelsee getroffen, und Frau Miller von der SPD hat denen aufgezählt, wie grauenhaft es die BE-ER-DE mit den Menschenrechten hält: Arbeitslosigkeit, Umgang mit Ausländern (Asylbewerbern),«Ausschluß»ganzer
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