Alkor - Tagebuch 1989
sich aus dem KZ-Tod ihres Mannes.
Die Studenten, die bei mir im Seminar sitzen, sind jetzt freundlicher und reagieren unbefangen; von«links»keine Spur. Es heißt, daß alle fünf Jahre der Wind dreht in den Hochschulen. Einer brachte ein Buch zum Signieren, das ist das erste Mal seit 1981. Für seinen Vater. - Eine Studentin kam mir bekannt vor. -« Sie waren doch schon mal hier?»-« Ja, es ist immer so lustig bei Ihnen.»- Die Tafel muß ich jedoch immer noch selber säubern. In der Post waren allerhand Sachen, die entschieden werden mußten, man muß so höllisch aufpassen, kein Termin darf übersehen werden. Den halben Tag suche ich irgendetwas, meistens den Terminkalender. Anstatt einen knallroten zu kaufen, besitze ich einen in Tarnfarbe. Mein Rundendrehn um den Wald herum, in dem die Vögel singen. Jorinde und Joringel.
Mein Vöglein mit dem Ringlein rot singt Leide, Leide, Leide …
Der Student Faust aus Frankfurt, der hier bei uns das Märchen vortrug, auswendig. Unvergeßlich! -«Kennt jemand ein Gedicht? »fragte ich. Und da sagte er das Märchen auf.
Nartum
Di 25. April 1989
Bild: Fristlose Kündigung / Karajan bricht mit Berlin
ND: DDR und Nicaragua verbinden enge brüderliche Beziehungen
Ich arbeitete an«Sozusagen Sowtschick», gebe das Tagebuch von 1983, der«Hundstage»-Zeit also, in den Computer ein. Vielleicht
interessiert es die Leser, wie es wirklich war? Die Ankunft der Mädchen usw. Überhaupt das einfache Leben hier draußen. Manchmal beschert mir der Computer sonderbare Reisen ins Nichts. Hildegard ist das unheimlich. Lustig wäre es, das Sowtschick-Material mit dem«Echolot»zu kreuzen.
Am Nachmittag las ich ein«Tadellöser»-Kapitel auf Kassette, die«Hundstage»habe ich schon gänzlich aufgenommen. Zwischen die Kapitel lege ich zunächst die Elternmusik, später dann Klavierstunden, Swing usw. Meine technische Einrichtung ist unzulänglich und niemand ist in Sicht, der mir hilft. Wahrscheinlich breche ich die Sache sowieso ab. - Unser Vermögensdefizit wird allmählich bedrohlich. Eben denkt man: nun ist alles bezahlt, guckt mal versuchsweise in die Bankauszüge (so sieht man im Skat nach, ob man auch genug gedrückt hat), und dann hat sich da inzwischen schon wieder eine Katastrophe ereignet. - Hildegard überlegt, wie sie es anstellen kann, daß Menschenmassen hierherkommen und das Haus gegen Eintritt besichtigen. Sie hat herausgefunden, daß es Kulturfahrten gibt, Fischerhude, Worpswede, da könne man sich dranhängen und dann ordentlich kassieren. Sie möchte damit schon jetzt anfangen. - Ich sage: Da muß ich erst noch berühmter werden, und dann kommen die Leute ganz von selber. Postkarten mit meiner Totenmaske verkaufen, so in diesem Stil. Das bleibt ja immer noch. Oder«die Hände des Dichters». Ein Café angliedern, im Innenhof, und eine Buchhandlung, die nur meine Werke vertreibt, so wie die Grimm-Sache in Lippoldsberg? Ein Antiquariat.
Vor Schülern las ich die Inder-Kapitel. Das sei merkwürdig, daß das Buch so komisch ist, sagte ein Mädchen. Ein Schüler sagte, das seien ja alles aneinandergereihte Anekdoten und Kurzgeschichten. Wieder andere meinten, ich mache die Ausländer schlecht. Es fielen drei verschleierte, bzw. mit Kopftuch versehene Türkinnen auf. Sie verteidigten mich übrigens gegen den Vorwurf, Ausländer schlecht zu machen. - Ich konnte die ganze Sache nicht recht ernst nehmen und blieb gut gelaunt bis zum Schluß. - Gegen Kopftücher habe ich im Prinzip nichts. Das sieht doch ganz lustig aus. Und die langen Gewänder gefallen mir
ohnehin besser als die Einheitsjeans. Eine der Schülerinnen nannte Sowtschicks Haus einen«Luxusschuppen».
TV:«Sussi», ein argentinischer Film. Ach, was für ein schöner Film. Ich nahm ihn auf. Leider fehlen mir die ersten zehn Minuten. Regie: Gonzalo Justiniano. Nie gehört den Namen. Die Fremdartigkeit kommt dem Film natürlich zugute, bei uns ist alles gleich St. Pauli. - Um Mitternacht kam noch ein Film über Ludwig Wittgenstein, da ich«Sussi»aufnahm, habe ich auf ihn verzichten müssen.
Nartum
Mi 26. April 1989
Bild: Bomben-Terror! / Deutsche Elf floh aus Hotel
ND: USA lehnen Verhandlungen über Kurzstreckenraketen ab
Schwiegermutter ist für ein paar Tage bei uns. Zusammengeschrumpft und«durchsichtig». Ihre Grübchen und das reizende Fränkisch, das sie spricht. Hildegard sagt:«Wie ein junges Mädchen.»- Kramt, ohne hinzusehen, in der Handtasche. Ich gab ihr alte Dias zum Sauberwischen,
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